Glückliche Ehe
geschäftlichen Angelegenheiten anging, aber mitten in einer Besprechung oder unter Termindruck war das natürlich unmöglich, und manchmal wollte er sich auch gar nicht mit ihr beraten. Und es hatte auch früher schon Situationen gegeben, in denen es grausam gewesen wäre, seine Frau zu fragen, was er tun solle. Aber diese Entscheidung verlangte doch ihr Urteil. Er hatte keine Ahnung, ob sie lieber am West- oder am Ostrand eines alten Friedhofs liegen wollte, wo man Steinplattenwege zwischen kunstvollen Grabsteinen, die für reiche Familien zu Henry James’ Zeiten gefertigt worden waren, entfernt und so neue Grabstellen geschaffen hatte. Er musste Margaret doch fragen, ob sie lieber an einem freien Plätzchen zwischen zwei Ahornbäumen liegen wolle oder unter den Ästen einer alten Eiche.
Er hatte nicht die Zeit, Fotos zu machen – obwohl Lily trotzdem welche machte –, damit an Margarets Sterbebett zurückzukehren, sie ihr zu zeigen und dann wieder herzukommen, um die Papiere zu unterschreiben, die ihm das Anrecht auf das Grab ihrer Wahl sichern würden. Er war jetzt hier vor Ort und bereit, das Geld für eine der beiden Grabstellen zu zahlen, die noch zwischen den reizvollen alten Grabsteinen zu haben waren. Zwischen den Gräbern spazierten auch noch andere Interessenten herum. Margarets Wunsch, im älteren Friedhofsteil beerdigt zu werden, war wichtiger als die Frage, ob das Grab in der Sonne oder im Schatten liegen solle. Und noch wichtiger war es für ihn, mit seiner Zeit zu haushalten. Ein Grab zu kaufen hieß, das beurkundete Nutzungsrecht an einer bestimmten Parzelle zu erlangen. Margaret hatte noch rund elf Tage zu leben. Die Beurkundung über die Bühne zu bringen, ohne kostbare Stunden darauf zu vergeuden, zwischen Manhattan und dem Green-Wood-Friedhof in Brooklyn hin- und herzufahren, hieß, hier und jetzt und ohne ihre Hilfe zu entscheiden, welche Grabstelle ihr eher gefallen würde – eine Vorahnung des Verlusts.
Während er zwischen den beiden Grabstellen hin und her wanderte, ärgerte ihn seine Unentschlossenheit. Diese Furcht, es mit einer Entscheidung Margaret nicht recht zu machen, hatte er seit vielen Jahren nicht mehr gehabt, und es gefiel ihm gar nicht, sich wieder so unfähig zu fühlen. Als Margaret krank geworden war, hatten sich ihre Rollen in dieser Hinsicht verkehrt. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie ihm die meisten Entscheidungen abgenommen. Als junger Mann hatte er sich beschwert, dass sie die Entscheidungsbefugnisse mit der Brutalität eines Imperialisten an sich reiße. Ob Anschaffungen für ihre Wohnung, die Wahl der Schulen für ihre Söhne, die Frage, mit wem sie sich trafen, wo sie essen gingen, welchen Film oder welchesTheaterstück sie sich ansahen – nichts, nicht einmal seine eigene Garderobe, wenn er ehrlich war, war seiner Entscheidung überlassen. Den Umgang mit der Welt hatte seine fröhliche, zupackende, funkeläugige, verhandlungstüchtige Ehefrau geregelt – außer seinen Verträgen als Schriftsteller und Drehbuchautor. Und selbst zu diesen hehren Dingen hatte sie ihre Meinung kundgetan.
Gelegentlich hatte Margaret ihn als Unterhändler eingesetzt, etwa, als die Umzugsleute verschwinden wollten, ohne das Umzugsgut in die neue Wohnung gebracht zu haben. Um achtzehn Uhr hatten sie verkündet, sie würden am nächsten Tag wiederkommen, und allen Ernstes vorgehabt, die junge Familie samt ihrem neugeborenen Baby nur mit einer Matratze und einem Babybettchen zurückzulassen. Margaret hatte Enrique zu dem Möbelwagen abkommandiert, damit er den Chef-Möbelpacker mit den tätowierten Armen zwang, den Job zu Ende zu bringen. Enrique war klar, dass die Kerle entweder das Tranchiermesser, das in einer der Kisten verpackt lag, nach oben schleppen oder ihm gleich damit den Bauch aufschlitzen würden. Das war kein Führungswechsel, Margaret hatte nur ihren Gorilla geschickt.
Mit Beginn ihrer Krankheit jedoch war der Umgang mit der Außenwelt ausschließlich seine Sache geworden, und sie hatten beide gemerkt, dass er sehr wohl fähig war, sich in den bürokratischen Labyrinthen von Kliniken und Krankenversicherungen zurechtzufinden. Dass er Margarets Vertrauen gewonnen hatte, war Enrique während ihrer Remission klargeworden. In diesen glücklichen zehn Monaten – mit die innigsten ihrer gesamten Ehe – hätte sie das Oberkommando wieder übernehmen können, aber sie ließ ihn weiter ihre medizinischen Angelegenheiten regeln. Sein Sieg war nicht total – Margaret
Weitere Kostenlose Bücher