Glückliche Ehe
mit achthundert Dollar immer noch ein gewaltiges Loch in Enriques Portemonnaie. Daher zitterte er, als er sein Präsent stolz seiner Liebsten überreichte, nicht nur vor Eifer, sie zu beeindrucken, sondern auch weil ein beträchtlicher Teil seines Jahreseinkommens in diesem Päckchen steckte.
Margaret gab sich Mühe. Sie zwang ihren Mund zu einem Lächeln und brachte tatsächlich so etwas wie eine Grimasse der Freude zustande. Enrique war zwar ein leichtgläubiger Kunde, aber ein misstrauischer Liebender, also fragte er, was mit den Ohrringen nicht in Ordnung sei. Er sollte seinen Wahrheitshunger bereuen. Die Mängelliste dieser Ohrringe war so lang und schmerzhaft, dass er Margaret stoppen musste. Etwas Wichtiges lernte er allerdings im Hinblick auf künftige Geschenke: Für Margaret waren Diamanten nicht a girl’s best friend ; sie konnte sie im Gegenteil nicht ausstehen. »Ist dir nie aufgefallen, dass ich keine trage?«, fragte sie verwundert, als wäre es eine wichtige Überlebenstechnik, den Schmuck der eigenen Freundin zu inventarisieren.
Sie versuchte, nett zu sein. Sie küsste ihn, bedankte sich für das lieb gemeinte Geschenk, doch nach und nach fand er ihre Reaktion sarkastisch und fühllos. Zwei Monate später hörte er sie zufällig mit Lily über die Ohrringe witzeln und erglühte vor Scham. Die Sache wurde auch nicht dadurch besser, dass sie die Ohrringe nie trug, kein einziges Mal. Er nahm ihr die Zurückweisung seiner Liebesgabe übel – ein bitteresGefühl, das er in ein verborgenes Kästchen packte, wo noch andere Verletzungen seines Stolzes schwärten. Er war jetzt erst recht wild entschlossen, das Geschenkproblem zu meistern.
Zu ihrem nächsten Geburtstag versuchte er es gar nicht erst mit Schmuck. Er sah sich eine weitere Geschenkstrategie bei seinem Vater ab und kaufte ihr ein teures künstlerisches Werkzeug, um sie in ihrem kreativen Tun zu ermutigen. Er bewunderte ihre Fotos wie auch andere Leute, insbesondere ihr Vater, der nüchterne Ökonom. Leonard hatte Enrique erzählt, er habe aufgehört zu fotografieren, seit er die Fotos gesehen habe, die Margaret auf der Europareise nach ihrem Highschoolabschluss mit seiner alten Knipskamera gemacht habe. Bis dahin habe er Fotografie nie als eine Kunst betrachtet, weil ja mit einer automatischen Kamera und genügend Filmen auch ein Affe früher oder später eine gelungene Aufnahme machen würde. Margarets erster 36er-Film habe ihn eines Besseren belehrt. Die Bilder seien wunderschön komponiert und faszinierend gewesen. Die Leichtigkeit, mit der ihr solche Fotos gelängen, habe ihn überzeugt, dass Fotografie doch eine Kunst sei und Margaret »das Auge dafür« habe. Dass ihre Bilder sogar ihrem pragmatischen Vater gefallen hatten, genügte Enrique, um sie ermutigen zu wollen, und zudem schien die Fotografie wirklich ihre Leidenschaft zu sein. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte er herausbekommen, dass sie gerade einen Kurs im Entwickeln und Abziehen gemacht hatte. Im ersten Jahr ihres Zusammenlebens hatte sie dieses Interesse weiterverfolgt. Sie verwandte ihre Freizeit (sie arbeitete als freie Grafikerin) darauf, mit einer 35-Millimeter-Olympus durch das schrumpfende Little Italy und das aufblühende SoHo, über den Fleischmarkt und den heruntergekommenen Union Square zu spazieren und New Yorks bankrotte Siebzigerjahre-Straßen an der Schwelle der Gentrification abzubilden.
Wieder vertraute Enrique einem orthodoxen Juden,diesmal in einem B & H Fotogeschäft, wo Margaret ihren Fotobedarf kaufte. Mit einem jungen Verkäufer, der mit seinem Vollbart älter aussah, erörterte er ausführlich, was er ihr schenken könnte. Die fleischigen, bleichen Wangen des Verkäufers wabbelten, als er Enrique erklärte, welche Kamera in seinen Augen für eine ernsthafte Fotografin in Frage kam: eine Rolleiflex aus den Fünfzigerjahren, die Enrique auf Anhieb gefiel. Die pockige schwarzmetallene Box sah aus wie aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Der engagierte Verkäufer erklärte, »Rolleis« hätten besonders feingeschliffene Linsen, die eben die Details lieferten, wie sie Kunstfotografen sich wünschten, und da die Kamera nicht mehr hergestellt werde, bekomme man eine Linse dieser Qualität nur noch bei gebrauchten Apparaten.
Für Enrique klang das dubios. Kameras waren moderne Technik. Und seiner Erfahrung nach wurde die Technik immer besser. Fast hätte er ihm nicht geglaubt, diesem Mann, der mit seinem schwarzen Hut, den Schläfenlocken, dem Anzug
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