Glückliche Ehe
mit Balzacs Pariser Gesellschaft auf dem Höhepunkt der Saison zu vergleichen war. Aber das schmälerte weder seine Freude darüber, mit ihr zusammen zu sein, noch seine immense Erleichterung, dass dies nicht wieder einer der trübsinnigen Abende war, an denen er mit Bernard in einem billigen italienischen Pasta-Paradies aß oder sich mit einer Clique vor dem Kino noch einen Burger reinpfiff odermit Sal und dessen Freundin irgendeinen neuen Vegetarierschuppen im East Village ausprobierte. Und besonders froh war er, nicht mit chinesischem Fastfood auf dem Schoß zu Hause zu sitzen und zuzuschauen, wie die Knicks ein weiteres Spiel verloren.
Weil eine so irre Mischung aus Freude und Erregung in seinem Körper und seiner Seele vibrierte, merkte er, dass er mit einer schrecklichen Sehnsucht gelebt hatte, die nicht, wie er gedacht hatte, rein sexueller Art gewesen war. Sein renoviertes Studio-Apartment im fünften Stock konnte nicht gerade als ungeheiztes Dachstübchen gelten, seine dürre Gestalt kam eher von einer Diät aus Camel und Kaffee als vom Hunger, und selbst in seinen koffeeinberauschtesten Momenten glaubte er nicht ernsthaft, dass sein demnächst erscheinender Roman auf einer Stufe mit Rot und Schwarz stehen würde, aber er teilte sehr wohl die akute Einsamkeit der ehrgeizigen jungen Helden aus Die Erziehung des Herzens , Verlorene Illusionen und Das Werk . Er hatte genauso ein hungriges Herz wie jene gefühlvollen Protagonisten, dieselbe Gier nach Zuneigung, Verständnis und Liebe. Dieses lebhafte Mädchen mit dem amüsierten Lächeln und den funkelnden Augen, das begierig hörte, was er zu sagen hatte – es war einfach toll, mit ihr zusammen zu sein, so toll, dass er schon fast wünschte, die Verpflichtung, sie zu verführen, wäre nicht Teil des Deals. Zumal er, als sie die eleganten, schmalen Schultern aus der Daunenjacke schälte und beim Kellner einen trockenen Wermut bestellte – was so erwachsen und kultiviert klang – und ihre ganze gelassene Selbstsicherheit der Welt gegenüber entfaltete, bei sich dachte: Sie spielt wirklich in einer anderen Liga als ich.
»Ich nehme –«, setzte er an und merkte, dass er keinen Schimmer hatte, was er nehmen sollte. Vage erwog er, einen Scotch oder ein Bier zu bestellen, aber das klang doch wohl zu sehr nach einem Männerabend. Sollte er Wein bestellen?Er wusste ja nur aus Büchern, wie sich Männer bei einem Date zu verhalten hatten, und diese Regeln schienen nur in einem Paralleluniversum zu gelten, das nichts mit ihm und Margaret zu tun hatte.
»Du brauchst nichts Alkoholisches zu trinken«, sagte sie. Sie hatte seine Gedanken zwar falsch gelesen, bot ihm aber trotzdem die richtige Hilfe an. Sie lachte. »Mich stört es nicht, wenn du nüchtern bleibst.«
Er lachte ebenfalls; irgendetwas an dem Wort nüchtern , vor allem in Bezug auf ihn, schien absurd. »Ich nehme eine Cola«, sagte er, und der Kellner entschwand mit einem Blick, den Enrique als angewidert bezeichnet hätte.
Nachdem sie ihn selbst ja ermutigt hatte, zu bestellen, wonach ihm war, schien Margaret über das Ergebnis entsetzt. »Eine Cola!«, wiederholte sie.
»Okay«, nahm es Enrique mit Humor, »ich trinke was Richtiges.«
»Nein, nein. Ich bin nur neidisch, weil du eine richtige Cola trinkst. Das habe ich schon seit dem College nicht mehr getan.« Nachdenklich setzte sie hinzu: »Aber du bist ja auch so jung, dass du noch auf dem College sein könntest.«
Das schien sie zu beschäftigen. Ihm waren die dreieinhalb Jahre Altersunterschied zwischen ihnen nicht weiter bedeutsam erschienen. Margaret war sechs Jahre jünger als Sylvie. »Aber vergiss nicht, ich bin mit sechzehn von zu Hause weggegangen. Ich bin genauso lange draußen in der Welt wie du«, sagte er. Er wusste, das hieß gar nichts. Margaret war eindeutig erwachsener, selbstsicherer und reifer.
»Ich kann’s gar nicht fassen, dass du schon so jung ausgezogen bist«, sagte sie, und in ihrer Stimme lag eher Mitleid als die Anerkennung, die ihm seine Altersgenossen für seine rebellische Vita zu zollen pflegten: Highschool geschmissen, von zu Hause weggegangen, mit einer Fünfundzwanzigjährigen zusammengelebt. »Cool«, sagten die meisten Männer.»Wow. Toll!«, sagten die jungen Frauen. Margaret hingegen zeigte weiter Mitgefühl. »War das okay für dich? Ich wollte, ich hätte das gekonnt. Als ich sechzehn war, hat mich meine Mutter so genervt, dass ich den Klang ihrer Stimme kaum noch ertragen konnte. Aber es muss auch
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