Glückliche Ehe
vertraute ihm lediglich in gesundheitlichen Belangen. Offenbar war die Entscheidung über Leben oder Tod trivial verglichen mit Fragen zu Wohnungseinrichtungoder Enriques Garderobe, wenn sie zu einer Dinnerparty eingeladen waren, denn in diesen Dingen bestimmte jetzt wieder sie. Dennoch hatte er in allen Bereichen an Boden gewonnen. Nach und nach begann sie, ihn auch in häuslichen Dingen zu konsultieren. Besonders schmeichelhaft war es, als sie ihn bat, die endgültige Entscheidung zwischen Grün-Weiß und Braun-Weiß für eine Garnitur neuer Handtücher zu treffen. Das wäre einem Außenstehenden vielleicht als eine lächerliche Winzigkeit erschienen, aber für Enrique hatte eine Revolution stattgefunden: Er hatte das Bürgerrecht auf ästhetische Mitsprache erlangt. Margarets Glasnost gab ihm den Mut, sich an Größeres zu wagen. Vor fünfzehn Monaten hatte er sich gelobt, sein Geburtstagsgeschenk für Margaret ganz allein auszusuchen.
Viele Jahre hatte er sich bemüht, ihr ein gelungenes Geburtstagsgeschenk zu machen, indem er sich nur auf seinen eigenen Geschmack verließ. Und jedes Mal war er kläglich gescheitert. Im ersten Jahr ihres Zusammenlebens wollte er es seinem Vater nachtun, der Enriques Mutter stets Schmuck schenkte, und ihm auch darin nacheifern, Geschenke zu machen, die seine Mittel weit überstiegen. Aber er besaß nicht das Selbstvertrauen seines Vaters, was den eigenen Sinn für Schmuck anging, darum hatte er dann doch lieber auf teure Marken vertraut und war zu Tiffany gegangen.
An diesem legendären Ort war er sich mit seinen langen Haaren, schwarzer Jeans und abgeschubberten Turnschuhen deplaziert vorgekommen. Er hatte Mühe gehabt, die scheinbar so freundliche junge Frau hinter der Vitrine mit den Ohrringen auf sich aufmerksam zu machen. Ihr Sortiment hatte es ihm angetan, besonders ein Paar kleine sternförmige Ohrstecker mit einem einzelnen Diamanten in der Mitte, die seiner Meinung nach an Margarets zierlichen Ohren perfekt aussehen würden. Die Tiffany-Verkäuferin widmete sich mit einem strahlenden Lächeln Männern in Anzügenund älteren Damen, unter ihnen eine alte Frau, die so von Osteoporose gebeugt war, dass sie jeden Moment auf die Glasplatte zu kippen drohte. Munter und beschwingt zog die Verkäuferin für diese Kunden Schubladen mit glitzernden Schmuckstücken heraus und begrüßte dann zwei Personen, die nach Enrique gekommen waren. Sie blickte durch sein angespanntes, blasses Gesicht hindurch, als wäre er unsichtbar, bis außer ihm niemand mehr vor ihr stand. Inzwischen war sein zerknittertes Arbeitshemd durchgeschwitzt. Sie runzelte die Stirn und sagte in einem Ton, als wäre es ein Ding der Unmöglichkeit: »Kann ich Ihnen helfen?«
Und ihre snobistische Unterstellung war vollkommen richtig. Die Ohrringe, in die er sich verliebt hatte, kosteten viertausenddreihundert Dollar, über die Hälfte des Vorschusses auf seinen dritten Roman. Als er bei der Nennung des Preises zusammenzuckte, wurde ihre Miene so höhnisch, dass er ohne weitere Nachfragen auf die Fifth Avenue hinausflüchtete.
Er landete im Diamond District, weil er lieber von einem orthodoxen Juden bedient werden wollte, der erkannte, dass ein junger Mann auf der Suche nach einem Geschenk für eine junge Frau der ideale Kunde war, um etwas Billiges und dennoch Überteuertes loszuschlagen. Der eifrige Verkäufer sprach schnell und überredete Enrique zum Kauf von einem Paar Ohrringen, indem er ihm die Preissetzung für dieses Schmuckstück nach den vier C der Diamantenklassifizierung erklärte und dann eine Argumentation anschloss, die blendender war als sein gesamtes Schmuckangebot. Er behauptete, dass die fraglichen Ohrringe ein Schnäppchen seien, da sie in Farbe, Klarheit, Karat und Schliff – den vier C: color, clarity, carats und cut – unmittelbar unter der Höchstbewertung lägen. Er versicherte Enrique, dieser minimale Unterschied zu jenem Qualitätsgrad, bei dem sich der Preis verdreifache, sei so subtil, dass ihn niemand bemerke, nicht maldie Diamantenexperten um sie herum. Die schwarzen Ärmel seines Jacketts rutschten hoch und entblößten gestärkte weiße Manschetten, als er mit einer ausholenden Armbewegung gleichsam auf das gesamte Viertel verwies. »Niemand!«, versprach er. »Kein Mensch bemerkt den Unterschied! Gehen Sie hin! Fragen Sie sie. Wenn jemand den Unterschied bemerkt, kriegen Sie Ihr Geld zurück!«
Die Schnäppchen-Ohrringe waren viel billiger als die bei Tiffany, rissen aber
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