Glückliche Ehe
an seine Angst zu denken und einfach nur zu befinden, welche Stelle schöner war.
Zu ihrem Geburtstag vor fünfzehn Monaten hatte er sich Zeit genommen, um vielleicht dieses Mal doch ohne ihre Hilfe ein Geschenk zu finden, das ihr gefallen würde. Erst wenige Wochen vorher hatten sie erfahren, dass ihr Krebs metastasierte und, auch wenn man das Fortschreiten verlangsamen konnte, unheilbar war. Seit Jahren folgten sie an ihrem Geburtstag einem Ritual, das ein Kompromiss zwischen ihren jeweiligen Neurosen war. Er begleitete Margaret in ein Geschäft, wo sie etwas gesehen hatte, das sie gern haben wollte: einen Hut, ein Armband, ein Kleid, ein Paar Schuhe, einmal auch einen Couchtisch. Enrique absolvierte das Possenspiel, den von ihr ausgewählten Gegenstand zu kaufen, einzupacken und ihr dann zu überreichen, als wäre er selbst drauf gekommen. »Du hast ja so einen guten Geschmack«, sagte sie dann so überzeugend, dass nichtsahnende Freunde es manchmal tatsächlich glaubten und sie dazu beglückwünschten, einen so geschmackssicheren Mann zu haben. Margaret versäumte es nie, ihn vor den Geburtstagsgästen zu küssen, aufrichtig entzückt von ihrem selbstausgesuchten Geschenk. Schlimmer noch als ihre Egozentrik in Sachen Geschenke fand er ihre Unberechenbarkeit. Das Einzige, was er dabei lernte, war, dass er, um seine Frau zu befriedigen, nicht einfach in Unser Körper, unser Leben nachschauen konnte. Dennoch, so einschüchternd das Unterfangen auch sein mochte: Ihre Krankheit und ihre Tapferkeit weckten in ihm das Bedürfnis, noch ein letztes Mal zu versuchen, das zu finden, was ihr Herz begehrte.
Er beschloss, diesmal nicht nur ein paar Stunden auf die Suche nach einem Geschenk zu verwenden. Er gab sich einen ganzen Monat. Wieder entschied er sich schließlich für Ohrringe. Er liebte Margarets makellose kleine Ohren, und wenn sie ihm gestattete, den kleinen Spalt dahinter sachte mit der Zungenspitze zu erforschen, bebte sie vor Lust. Er wollte diese Ohren schmücken.
Er zog alle paar Tage los, um drei Läden für antiken Schmuck in ihrer Wohngegend zu durchstöbern. Dort hatte Margaret schon öfter Geschenke für sich selbst und für Freundinnen gekauft. Er hatte daraus gelernt, dass sie fast zinnfarbenes Antiksilber lieber mochte als Gold und eine besondere Vorliebe für Stücke hatte, bei denen ein einzelner Stein in etwas gefasst war, das kunstvoll gefertigt, aber klein war. In der zweiten Woche hatten sich die Ladeninhaber an seine stundenlangen Besuche gewöhnt. Eine aufmerksame Verkäuferin erkannte, wofür er sich interessierte, und zeigte ihm ein Paar antike Silberohrringe. Aus den Achtzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts, behauptete sie. Es gebe einen Provenienznachweis, aber das war ihm egal, da die Ohrringe alles hatten, was er suchte – außer: Den einzelnen Rubin in der Mitte umgab jeweils ein Kreis von winzigen Diamanten. Eher wie funkelnde Sterne, aber dennoch Diamanten. Als sie sagte: »Wie wär’s mit diesen hier? Ich finde sie so fein gearbeitet und so hübsch«, antwortete er: »Ja, ich auch. Aber es sind Diamanten drauf. Meine Frau mag keine Diamanten.«
Sie lachte. »Ihre Frau mag keine Diamanten«, wiederholte sie, als könnte das nur ein Witz sein.
»Nein«, sagte Enrique. »Mag sie nicht.« Er studierte die Ohrringe trotzdem genauer. Er hielt sie sich dicht vors Gesicht. Bis auf die Diamant-Sternkreise um die warmroten Rubine waren sie genau Margarets Geschmack. Er kaufte sie nicht. In der nächsten Woche ging er noch zweimal in den Laden, und die Versuchung war jedes Mal größer. Es warendie Ohrringe, die er ihr kaufen wollte, aber er hatte Angst, dass es wieder ein Fehler wäre, ein weiterer Beweis für seine Unfähigkeit, die Welt mit ihren Augen zu sehen.
Im selben Laden gab es auch noch ähnliche Ohrringe ohne Brillanten, aber bei denen war das Silberkorpus, in dem die einzelnen roten Steine saßen, längst nicht so schön. Die Ohrringe, die er kaufen wollte, hätten in seinen Augen die Brillanten gar nicht gebraucht. Ihr Reiz lag in der minutiösen Silberarbeit, einem verschlungenen Efeumuster, so fein, dass es tatsächlich organisch wirkte. Er wusste, das würde Margaret gefallen. Aber die Diamanten? Spielte das noch eine Rolle? Wenn sie ihr nicht gefielen – na und? In den neunundzwanzig Jahren seit seinem ersten desaströsen Geschenk war so viel passiert. Waren so viele Illusionen zerplatzt. Hatten sie beide sich als so stark erwiesen. Sie hatte die grausamsten Dinge
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