Glückliche Ehe
geschafft hatte, Margarets Geschmack zu treffen, und deshalb jetzt auch das Recht hatte, über die Grabstelle zu entscheiden. Er ging über den kleinen Gräberhügel zu der Eiche und postierte sich dort, wo ihr und eines Tages auch sein Grabstein stehen würde. Er drehte sich langsam um seine eigene Achse und sah sich um: üppig grüne Bäume, Wache stehende Grabsteine, der New Yorker Hafen in der Ferne, das prätentiöseGrabmal mit den ionischen Säulen und der gewundene graue Weg, der die gepflegten Grabfelder teilte und auf dem bald schon in einem schwarzen Sargwagen ihr lebloser Körper hergebracht werden würde.
»Das hier«, sagte er zu Lily und Paul.
»Es ist schön«, sagte Lily, obwohl sie eben noch die andere Grabstelle vorgeschlagen hatte. »Hier ist es richtig«, setzte sie hinzu, weil sie um seine tiefe Unsicherheit wusste.
»Vielleicht«, antwortete er.
11 DER ERSTE KUSS
A ls Enrique die Rechnung bezahlte, wie er es von seinem Vater gelernt hatte – ernstes Kopfschütteln und eine entschiedene Geste in Margarets Richtung, die bedeutete, dass er ihnen beiden gerade einen himmelschreienden Fauxpas ersparte –, in dem Moment wusste er, dass er es sich nie verzeihen würde, wenn er sie an diesem Abend nicht küsste. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken. Er antwortete auf ihre Fragen, lauschte dem, was sie von ihrem bisherigen Leben erzählte, und sah ihr unverwandt in die Augen, gestattete sich keinen Blick auf ihre amüsierten Lippen, ihren glatten weißen Hals, ihre in Wolle gehüllten Brüste – nicht aus Anstand, sondern aus Angst. Einmal hatte er sich ausgemalt, wie sie nackt in seinen Armen lag, und prompt alles vergessen, worüber sie gesprochen hatten.
In Wahrheit konnte er sich nicht einmal vorstellen, ihre Hand zu halten, geschweige denn Sex mit ihr zu haben. Als sie sich hin- und herdrehte, um ihre schlanken Arme in die Daunenjacke zu manövrieren, erhaschte er einen weiteren Blick auf ihre wohlgeformten Beine und Pobacken. Sie erschienen ihm wie ein unmöglicher Traum, nicht wie ein Ziel. Wie hatte je ein Mann auf der Welt den Mumm aufgebracht, eine Frau zu küssen? Er konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern, wie ihm diese Heldentat jemals gelungenwar. Schon im zarten Alter von zwölf Jahren hatte er einem Mädchen seine Lippen aufgedrückt und war, ohne ernsthaft Schaden zu nehmen, auf ihren beachtlichen Kühlergrill von Zahnspange gestoßen, aber der große, erwachsene Mann von einundzwanzig, der jetzt das Restaurant verließ und in Richtung ihres gemeinsamen Wohnviertels schlenderte, fühlte sich, als hätte er noch nie mit einer Frau geschlafen, als wäre er so unwissend und unschuldig wie ein Kleinkind.
Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, sie zu berühren, suchte er fieberhaft nach einer Strategie, wie es dennoch dazu kommen könnte. Sollte er sie in seine Wohnung einladen? Unter welchem Vorwand? Sollte er einfach an seinem Haus vorbeigehen, wenn sie dort waren, und so tun, als wollte er sie nur nach Hause bringen? Auf diese Weise wäre sie zum Handeln gezwungen. »Willst du noch mit raufkommen?«, würde sie fragen. Oder auch nicht.
Wenn nicht, was dann? Sollte er sie vor den Augen ihres snobistischen Portiers küssen? Unmöglich. Er selbst und sie waren ihm eigentlich schon zu viel Publikum. Wenn er es irgendwie hinkriegen könnte, würde er sie am liebsten küssen, ohne selbst dabei zu sein. Und wenn ihre blauen Augen nicht im Spiel wären, würde das die furchterregende Aufgabe mit Sicherheit auch viel leichter machen.
»Sollen wir zurück den richtigen Weg nehmen?«, fragte sie, als sie an der Kreuzung Seventh und Grove angekommen waren.
»Wie du möchtest«, sagte er. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen. Wie sollte er sie verführen, wenn er kaum gehen konnte? Dass Margaret tatsächlich für ihn zu haben schien, dass dieses Date keine Donquichotterie war, war für ihn in diesem Moment absurderweise schlimmer, als wenn er überhaupt keine Chance bei ihr gehabt hätte. Der Ball war in seinem Feld, und er musste ihn hart und entschlossenzurückschlagen, um das Match zu gewinnen, dabei fühlte er sich nicht einmal stark genug, den Schläger zu heben.
»Du hast es echt mit Humor genommen, dass du vorhin unrecht hattest«, sagte sie. Sie hätte ebenso gut Farsi sprechen können. Enriques Hirn war vor Angst gelähmt. »Was?«, spielte er erst mal auf Zeit.
»Als du den falschen Weg genommen hast. Du warst echt locker, als ich’s dir nachgewiesen habe.«
»Aber
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