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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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… du …«, begann er zögernd, während er versuchte, zu verstehen, wovon sie redete. Dann kapierte er: »… warst doch diejenige, die meinte, die Christopher sei schneller.«
    Es brauchte einiges Hin und Her, das Missverständnis zu klären. Nach dem soundsovielten »Aber du hast doch gesagt« begriffen sie schließlich, dass sie im Grunde völlig einer Meinung gewesen waren, welcher Weg der kürzere sei. Margaret hatte Enriques vage Kopfbewegung in Richtung Grove Street dahingehend missdeutet, dass er die Christopher Street nehmen wollte, und ihm aus Höflichkeit nicht widersprochen. Als sie dann in Richtung Christopher Street gegangen war, hatte Enrique gedacht, sie bestehe dickköpfig darauf zu entscheiden, wo sie entlanggingen, aber auch er hatte aus Höflichkeit nicht protestieren wollen. »O Mann!« Margaret stieß mit ihrer Denim-Hüfte gegen seinen Parka. »Wir sollten aufhören, so nett zueinander zu sein, sonst kommen wir nie irgendwohin.«
    Enrique neigte sich näher zu ihrem hübschen Gesicht hin, führte sich selbst in Versuchung. »Je länger wir brauchen, um ans Ziel zu kommen, desto mehr Spaß haben wir.«
    Drei lange Gesprächsabende hatten Enrique davon überzeugt, dass es ein Gebiet gab, auf dem ihm Margaret bestimmt nie das Wasser reichen konnte – Konversation. Sie war klug, viel klüger, als er nach ihrer ersten Begegnung gedacht hatte, und mit Sicherheit gebildeter als er. Aber indemsie so sorgfältig zuhörte, hatte sie nicht immer schon eine schlaue Antwort vorbereitet, und ihr Genauigkeitsfanatismus – zweimal hatte sie hinterfragt, ob sie ein Detail richtig wiedergegeben hatte – gab ihrem Sprechrhythmus etwas Schwerfälliges, und so wirkte sie nicht gerade so, als sprühte sie vor Esprit. Sie hatte das Geheimnis unterhaltsamer Konversation nicht begriffen: dass es viel mehr darauf ankam, wie etwas gesagt wurde, als darauf, was gesagt wurde. Daher überraschte ihn dieser schlagfertige Wortwechsel nun, und erst recht hatte er nicht damit gerechnet, dass er dabei auch noch den Kürzeren ziehen würde. Margaret betrachtete seine näher kommenden Lippen. Als sie etwa dreißig Zentimeter vor ihrem Ziel innehielten, stieß sie ihm die Klinge in die Rippen: »Was bringt dich zu der Annahme, dass wir je an irgendein Ziel kommen werden?«
    Er schnappte innerlich nach Luft, aber sie ließ ihn nicht lange leiden. Gnädigerweise zog sie das Messer wieder aus seiner Seite, indem sie hinzufügte: »Vielleicht irren wir ja auf ewig zusammen umher?«
    Das war sein Einsatz. Ihr Kinn war emporgereckt, ihre halbgeöffneten Lippen warteten auf seine. Über den Häusern des Village stand kein Mond, der sie in silbernes Licht hätte tauchen können, aber das Gelb der Laternen hielt immerhin als romantischer Schimmer her. Statt des üblichen Bouquets aus Urin und verrottendem Müll hing der Holzfeuergeruch aus den umliegenden Kaminen in der Luft. Hinter ihrem leuchtenden Gesicht schmückten Weihnachtslichterketten ein paar Bäume. Ihre Augen strahlten, ihr Mund lud ihn ein. Welch deutlicheres Signal hätte sie ihm geben können, außer sie hätte seinen Kopf gepackt und gefordert: »Küss mich!«
    Er lächelte schwach. Sie hatte ihm die Stimme geraubt. Sein Körper war starr vor Angst. Die dreißig Zentimeter zwischen ihnen erschienen ihm als unüberwindliche Kluft.Er war wahrhaftig kein romantischer Held. Seine Enttäuschung über sich selbst wäre nicht größer gewesen, hätte sie gesagt, er sei ihrer nicht würdig und gehöre in ein luftloses Kellerverlies gesperrt, wo er niemals mehr Kontakt zu anderen Menschen hätte. Er hätte diesem Urteil zugestimmt. Hier und jetzt akzeptierte er im Kopf und im Herzen, dass er diese Frau niemals berühren würde. Genau wie der unglückselige Bernard würde er ihr nie mehr als ein Freund sein. Aus dieser Stimmung heraus sagte er: »Ich hasse es, mich zu verirren.«
    Jede andere Frau hätte seine Antwort wahrscheinlich als Zurückweisung verstanden. Er jedenfalls wünschte sich, kaum dass er die Worte ausgesprochen hatte, er hätte sie nie gesagt. Margaret aber schien nichts dabei zu finden. Sie blickte zum Himmel empor und sagte mit sehnsüchtigem Gesichtsausdruck: »Ach? Ich liebe es, mich zu verirren.« Sie wandte sich um, Richtung Grove Street, um diesmal den kürzeren Weg zu nehmen. »Ich liebe Abenteuer.«
    Er ging neben ihr her, froh, dass die Sexfrage geklärt war, wenn auch nicht zufriedenstellend, und sagte: »Das hört sich gut an. So wäre ich auch

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