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Glückliche Ehe

Glückliche Ehe

Titel: Glückliche Ehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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streifte seine Wange. Mit Daumen und Zeigefinger ergriff sie sein Ohrläppchen und drückte es sanft, als wären sie ein altes Liebespaar, das alle Fragen geklärt und alle Zeit der Welt hatte. In dieser Haltung erzählte sie weiter, wie enttäuscht sie über den radikalen schwarzen Separatismus auf dem Campus sei, ließ ihn dann nach ein paar Sätzen, zufrieden mit dem Erreichten, los und lehnte sich wieder gegen die Sofalehne, außer Reichweite, als wollte sie nichts weiter von ihm, als ihr endloses Gespräch fortzusetzen.

12 FAMILIENSINN
    F ünf Tage und Abende lang ergoss sich der stete Besucherstrom in Enriques und Margarets Wohnung und die Treppe hinauf, die sonst nur sie beide, ihre Söhne und die Putzfrau nahmen. Die Abschiedsbesucher durchquerten das kleine Arbeitszimmer, wo Enrique am Wochenende schrieb, und betraten dann durch eine Schiebetür ein Schlafzimmer, das fast so groß war wie Margarets einstiges Studio-Apartment, in dem sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. Das Schlafzimmer war hell und hatte einen weiten Blick auf das südliche Manhattan. Dort, wo die schimmernden, eckigen Türme des World Trade Center das Panorama dominiert hatten, war jetzt eine Leerstelle, in die vier Kräne ragten. Für die größeren Besuchergruppen holte Enrique zusätzliche Stühle herauf, so auch, als Margarets Eltern, Brüder und Schwägerinnen zum Mittagessen kamen.
    Dem Abschiedsmahl der Cohens mit Margaret ging eine Konfrontation voraus, die ihm, glaubte Enrique, in gewisser Weise schon während seiner ganzen Ehe bevorgestanden hatte. Margaret bat Enrique, Dorothy und Leonard zu sagen, dass ihr Trauergottesdienst in der alten Synagoge in der Lower East Side stattfinden solle, wohin sie ihr atheistischer Ehemann seit ihrer Krebsdiagnose immer begleitet hatte, dass ihn der exzentrische buddhistische Rabbi halten solleund dass sie nicht im Familiengrab in New Jersey beigesetzt werden wolle, sondern auf dem Green-Wood-Friedhof in Brooklyn, von dessen Hügeln man Manhattan sah, wo sie ihre wilden Jahre verbracht, wo sie Enrique gezähmt und ihre Kinder großgezogen hatte und wo sie sterben würde.
    Als sie an Enriques Gesicht ablesen konnte, wie sehr ihn die Vorstellung ängstigte, sich ohne sie mit ihren Eltern auseinandersetzen zu sollen, beruhigte sie ihn schnell: »Sobald du’s Ihnen beigebracht hast, sage ich ihnen, dass es wirklich mein Wunsch ist, aber ich ertrage es nicht, mich mit ihnen zu streiten, also erklär du’s ihnen bitte. Dann gewöhnen sie sich schon mal an den Gedanken, und danach schickst du sie zu mir rauf.« Enrique sagte nichts. Wenn sie gesund gewesen wäre, hätte er ein solches Ansinnen irgendwie abgewimmelt, aber jetzt – wie konnte er? Außerdem war das doch wohl eine Fähigkeit, die er sich aneignen musste. Die Cohens waren die Großeltern seiner Söhne, er musste lernen, allein mit ihnen klarzukommen. »Du kannst es«, sagte sie in sein Schweigen. »Sie werden zetern, aber letztlich werden sie tun, was ich will. Ich will mir nur nicht das ganze Theater anhören.«
    Irgendetwas an ihrer Argumentation stimmte nicht, er konnte nicht genau sagen, was, hatte aber auch kaum Zeit, darüber nachzudenken, nicht einmal den halben Vormittag. Ihre Eltern kamen schon um zehn. Max, der vor einer Woche sein Highschoolabschlusszeugnis in Empfang genommen hatte, schlief vermutlich noch die Folgen eines alkoholreichen Abends aus. Margaret war oben noch mit der langwierigen Prozedur beschäftigt, sich anzuziehen und zurechtzumachen. Da waren die Schläuche und Ports, die sich nicht ganz verdecken ließen, das Problem des Schminkens mit tränenden Augen und fehlenden Augenbrauen und ihr nachgewachsenes Haar, das spröde und dünn war, aber immer noch dick genug, um das Justieren der Perücke zuerschweren. Also war Enrique allein mit Dorothy und Leonard im Wohnzimmer – die Gelegenheit, sie von den Beerdigungsmodalitäten in Kenntnis zu setzen.
    Ihm blieb keine Wahl, es war Dorothys zweite Frage. »Max schläft immer noch?«, fragte sie, kaum dass sie und Leonard sich auf dem Sofa niedergelassen hatten. Enriques bejahende Antwort übertönte sie, indem sie wie immer nicht nur eine Frage stellte, sondern gleich eine ganze Serie, begleitet von Unterstellungen, Ratschlägen und eigenen Antworten. »Was ist jetzt mit der Beerdigung und allem? Was willst du tun? Ich meine, woher sollst du dich da auskennen? Mit Trauergottesdiensten und Grabstellen. Du musstest so was doch noch nie machen. Außer bei deinem

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