Glückliche Ehe
Vater, aber das musstest du ja nicht organisieren, oder? Hat sich da nicht seine Schwester in Florida um alles gekümmert? Wir verstehen ja, dass du einen Trauergottesdienst in Manhattan möchtest, für eure ganzen Freunde. Und Margs mag ihren Rabbi. Das wissen wir. Also könnte es ja ihr Rabbi hier in Manhattan machen, warum nicht? Aber was ist mit der Synagoge? Ist eure denn groß genug für so viele Leute? Es werden doch eine Menge Leute kommen wollen. Wir haben viele Freunde. Und ihr habt viele Freunde. Sind das nicht zu viele Leute für diese kleine Synagoge? Sie ist ja so klein. Was hältst du davon? Wir könnten doch den Trauergottesdienst für alle in unserer Synagoge machen, und dann macht ihr hier in der Stadt noch einen Gedenkgottesdienst für eure Freunde. Das ginge. Viele Leute machen beides, einen Trauer- und einen Gedenkgottesdienst. Aber was ist mit der Grabstelle? Ihr habt doch keine, oder? Du und Margs, ihr habt euch doch um so was nie gekümmert. Warum hättet ihr auch sollen?« Sie sah verlegen drein und senkte die Stimme, als ginge es um irgendetwas Obszönes. »Und in unserem Familiengrab ist jede Menge Platz. Wenn der Tag kommt, was natürlich noch lange hin ist, könntest du doch auch – ich weiß ja nicht, wodu mal hinwillst, ob du bei der Familie deines Vaters liegen willst – aber für uns gehörst du doch zur Familie, also …« Sie schüttelte den Kopf, als wären all diese Gedanken aufdringliche Fliegen. Dann rief sie aus: »Es ist schrecklich, einfach schrecklich …« Und der Panzer ihres Gesichts knackste unter der Anstrengung, irgendwie die Arrangements für das letzte gesellschaftliche Event ihrer Tochter zu kontrollieren. Obwohl ihr ganzes Wesen sie drängte, die Organisation zu übernehmen, sah Enrique, dass dieser Anlass für sie zu schmerzlich war, um die Einzelheiten zu durchdenken.
So sanft und liebevoll, wie er irgend konnte, sagte er: »Dorothy …«
Doch beim tröstenden Klang dieses einen Worts riss sie sich augenblicklich wieder zusammen, die Falten unter ihrem Make-up glätteten sich, ihre Stimme nahm wieder den schrillen, pragmatischen Ton an: »Es ist schrecklich, aber wir müssen über diese Dinge nachdenken. Wie ist es zum Beispiel mit Parkmöglichkeiten? Hat eure Synagoge welche? Und euer Rabbi. Wir müssen ihn treffen. Er kennt uns ja gar nicht.« Ihr Sperrfeuer brach jäh ab. Enrique versuchte immer noch, das Dickicht aus falschen Fakten und krassen Unterstellungen zu entwirren. Dorothy thronte kerzengerade auf der Couch, und in ihren blassblauen Augen glomm Panik, während Leonard zusammengesunken dasaß, die traurigen violetten Augen waren feucht.
Enrique räusperte sich, um den Pfropf in seiner Kehle loszuwerden: den hinuntergeschluckten Widerspruch von neunundzwanzig Jahren, den Ärger darüber, dass Dorothys Art, Dinge zu regeln, immer Vorrang hatte, und die Angst davor, Margaret nicht ermöglichen zu können, was sie wollte, ohne dabei ihre Mutter zu verletzen. Und dann, als er ihre verwirrten, verzweifelten Eltern dort sitzen sah, ging es ihm plötzlich auf. Sein Problem in dieser Situation bestand darin, dass es eine Menge Diplomatie erforderte, zwischen Margaret undihrer Mutter zu vermitteln, und er, Enrique, war einfach kein Diplomat. Die Cohen-Kinder waren ihrer Mutter gegenüber allesamt Meister des Indirekten, verstanden es, Wünsche zum Ausdruck zu bringen, ohne sie geradeheraus zu artikulieren, Forderungen abzuwehren, ohne nein zu sagen, beherrschten die Kunst der Einigung ohne Übereinstimmung, des Kampfs ohne Hiebe. Enrique war laut und direkt, jemand, der Neins brüllte und Jas sang, ein Geschöpf, das klaren Himmel liebte, aber auch die aufgewühlten Wogen, schwarzen Wolken und heulenden Böen eines jährlichen Hurrikans brauchte, damit der Himmel danach in einem tieferen Blau der Zuneigung erstrahlen konnte. Er hatte noch nie einen Sabas-Sturm gegen Dorothy entfesselt, und es ausgerechnet jetzt zu tun, nachdem er so oft der Versuchung widerstanden hatte, wäre eine Katastrophe, die noch so viele Helfer und Spenden nicht wiedergutmachen könnten.
Aber nur ein Hurrikan würde dafür sorgen, dass diese knorrige Eiche, die Dorothys Kontrollwut war, sich Margarets Wünschen beugte. Wie sonst sollte er gegen Dorothys übermächtiges Bedürfnis nach dem Vertrauten ankommen? Sie wollte in demselben nichtssagenden Gebäude sitzen, in das sie seit fünfunddreißig Jahren ging, und sicher sein, dass es reichlich Parkplätze gab. Sie wollte von
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