Glückskekse
Knabberzeug stelle ich zwischen uns.
Nachdem er einen Schluck getrunken hat, räuspert sich mein Bettnachbar.
„Gut, dann will ich mal weiter erzählen. Hab ich dir ja versprochen. Also, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, dass ich Michael von dir erzählt hab. Als er hörte, dass du eben noch Jungfrau bist, war er Feuer und Flamme. Ich hab ihm aber gleich klar gemacht, dass du für so was einfach zu schade bist. Und ich hab ihn gebeten, dich in Ruhe zu lassen. Was er leider nicht gemacht hat.“
„Das kannst du wohl laut sagen“, nuschele ich eigentlich nur so für mich in meinen nicht vorhandenen Bart. Doch Gabriel hat mich verstanden.
„Wie meinst du das?“, fragt er in einem scharfen Ton, der mich unbewusst zusammen zucken lässt.
„Nichts. Auf jeden Fall nichts, was ich nicht alleine bewältigen könnte. Erzähl weiter bitte.“
Gabriel sieht so aus, als wenn ihm meine Antwort nicht so richtig gefallen hat. Dennoch redet er weiter. „Ich muss ein wenig ausholen, damit du mich vielleicht verstehst. Mein ganzes Leben lang wollte ich nichts weiter als tanzen. Schon als kleiner Junge. Und meine Mutter hat mich auch immer gelassen. Ich war das einzige Kind und mein Vater war ja ständig auf Montage. Wenn er allerdings mal ein paar Wochen zu Hause war, hat er natürlich mitgekriegt, dass ich in die Tanzstunden gehe. Dann haben sich meine Eltern immer gestritten. Mutter würde mich verweichlichen und zu einem Mädchen erziehen. Irgendwann hab ich dann festgestellt, dass ich halt mit Mädchen nichts anfangen kann. Es hat lange gedauert, bis ich es meinen Eltern sagen konnte. Dann ist mein Vater völlig ausgerastet. Hat rum geschrien, dass das alles nur vom Tanzen kommen würde und er mich zu einem richtigen Mann erzogen hätte. Dass er allerdings die schwulen Gene an seine Söhne weitergegeben hat, ist die Ironie an der ganzen Geschichte. Ich war damals zweiundzwanzig. Kurz vorher hatte Vater mir ja von meinem Bruder erzählt. Und so bin ich von zu Hause abgehauen. Hab mich mehr schlecht als recht durchgeschlagen und nebenbei halt nach meinem Bruder gesucht. Als ich ihn endlich gefunden habe, war ich so ziemlich abgebrannt. Er hat mir dann geholfen. Mir eine kleine Wohnung besorgt und auch bezahlt. Ich habe dann bei ihm dafür getanzt. Erst nur einmal die Woche und jetzt fast jeden Tag. Weil es mir einfach Spaß macht. Und es ist für mich egal, ob ich oben auf der Plattfläche tanze oder unten auf der Tanzfläche. Oben bringt es für mich sehr gutes Geld und ich kann damit mein Studium finanzieren. Ich finde es nicht schlimm. Denn ich tanze ja nur. Und egal wie sehr die Männer mich anschmachten … ich gehe mit niemanden mit. Wenn ich einen will, dann suche ich ihn mir selber aus.“
„Ich weiß“, seufze ich, stehe auf und geh auf meinen kleinen Balkon. Ich werd ihm jetzt sicherlich nicht zeigen, wie sehr mich seine letzten Worte getroffen haben. Mit versteinerter Miene und verkrampften Händen stehe ich da, bemüht, nicht in Tränen auszubrechen. Als ich allerdings leise Schritte hinter mir höre, kann ich sie nicht mehr aufhalten. Lautlos laufen sie mir über die Wangen.
„Hey“, höre ich Gabriel flüstern und seine Hand legt sich auf meine Schulter, „ich hätte das nicht sagen dürfen. Tut mir leid.“
„Hast du aber.“ Im Moment kann ich seine Gegenwart einfach nicht ertragen. „Lass mich bitte alleine.“
„Leo, bitte“, fleht er mich fast an. Aber ich kann nicht.
„Verschwinde, Gabriel, du weißt, wo die Tür ist.“
„Aber … .“
„Nichts aber. Hau endlich ab. Lass mich in Ruhe. Kannst du nicht hören? Ich will dich nicht mehr sehen. Raus hier!“ Den letzten Rest schreie ich ihm zu und schlage seine Hand weg. Ich balle so fest die Hände, dass sich meine Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen bohren. Als ich mich nach einer langen Zeit wieder etwas beruhigt habe, gehe ich zurück ins Zimmer. Und ich kann zum Glück sagen, dass ich wirklich alleine bin.
Ich hab mich so wohl in seiner Gegenwart gefühlt und wir haben uns doch auch eigentlich gut verstanden. Ich fand es toll, dass er mir soviel von sich erzählt hat und dann macht er alles mit einem einzigen Satz zunichte. Und ich kann ihn nicht einmal hassen. Scheiße!
Völlig erschöpft lasse ich mich aufs Bett fallen. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Allerdings weiß ich eines. Ich werde Gabriel aus dem Weg gehen. Und auch wenn es hier keinen anderen Club für meinesgleichen gibt, dann bleib ich lieber zu
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