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Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

Titel: Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Scherer
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so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist, (.) dass in ihm die lebende und die tote Katze zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind.«
    Mit anderen Worten: Die Katze ist von außen betrachtet tot und lebendig zugleich. Und so ist es häufig im Leben. Ist eine Anschaffung teuer oder billig? Beides. Oder: je nachdem. Unter dem Kostenaspekt betrachtet vielleicht teuer. Als Investition betrachtet möglicherweise |178| ein Schnäppchen. Ist eine Entscheidung richtig oder falsch? Beides. Oder: je nachdem. Die Intuition sagt ja, die Ratio sagt nein. Beide haben recht. Ist es richtig, offen zu sein, oder müssen wir uns nicht doch vielmehr fokussieren – was nur auf Kosten der Offenheit geht? Beides. Oder: je nachdem. Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht. Aber wer sich nur noch auf ein Detail fokussiert, ist Autist. Was ist besser, Pragmatismus oder Perfektion? Wir brauchen beides, je nachdem. Sicherheitsdenken oder Risiko? Beides. Zufrieden oder unzufrieden? Beides.
    Sie könnten sich jetzt fragen: Ist diese Haltung nun Ausdruck von Unentschlossenheit oder von Weisheit? Weder noch! Sie ist nur Ausdruck einer Fähigkeit, die Glückskindern offensichtlich zu eigen ist. Sie sind in der Lage, sowohl den Wald als auch die Bäume zu sehen, sie haben den Chancenblick, weil sie blitzschnell die Perspektive und den Bezugsrahmen wechseln können, egal ob das nun Größenordnungen, Zeitdimensionen oder Wertesysteme betrifft. Sie sind in der Lage, vom einen Moment auf den anderen das Gegenteil zu denken und zu tun. Während die einen noch rätseln, ob die Antwort auf die Frage, ob etwas unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, nun ja oder nein ist, haben die Glückskinder die Bedingungen bereits geändert.
    Allerdings glaube ich gar nicht, dass die Welt immer komplexer wird. Ich habe eher das Gefühl, sie wird immer einfacher.
    Wenn es stimmt, dass die Welt immer komplexer wird, dann ist es diese Fähigkeit, die die Glückskinder allen anderen eine Nasenlänge voraussein lässt. Allerdings glaube ich gar nicht, dass die Welt immer komplexer wird. Ich habe eher das Gefühl, sie wird immer einfacher. Auch wenn ich mit dieser Meinung ziemlich alleine bin …
    |179| Im Anfang war das Wort
    Mein genialer schwedischer Coach war der Meinung, dass fast alles, was geschieht, nicht schon Realität ist, bevor wir sie bemerken, sondern erst in dem Moment zur Realität wird, wenn wir es beim Namen nennen. Er sagt: Schnee gibt es eigentlich gar nicht. Jedenfalls nicht ohne uns. Schnee gibt es für uns nur, weil wir der Sache einen Namen gegeben haben. Seitdem wissen wir, was Schnee ist. Ohne Sprache wüssten wir es nicht.
    … denn ein Geräusch kommt erst durch das Gehörtwerden in die Welt.
    Wenn das stimmt, dann bedeutet das, dass wir nicht den leisesten Hauch einer Ahnung haben, wie ein Inuit die Welt sieht. Denn die kennen über 100 Wörter für Schnee. Reichlich kompliziert für so eine einfache Sache, könnte man denken. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das Problem, am Polarkreis zu überleben, würde uns ziemlich komplex vorkommen, denn ein Iglu lässt sich nur mit einer bestimmten Sorte Schnee bauen, der Schlitten rutscht auf der einen Sorte Schnee besser als auf der anderen, der eine Schneesturm zwingt uns zum Rückzug, der andere treibt uns zur Robbenjagd. Der eine Schnee zeigt, dass das Eis fest ist, der andere warnt uns vor dem Einbrechen. Ohne Worte für die Varietäten dieses Dings »Schnee« könnten wir sie nicht unterscheiden, nicht erkennen, nicht bewerten, wir wären schlicht verloren. Für den Inuit ist die Welt nicht komplex, er kennt sich sowohl mit dem Schnee, dem Eis und Wind und Wetter aus als auch mit dem Verhalten der Beutetiere und den Materialien, die er aus ihnen gewinnt und aus denen er Boote und Kleidung herstellt. Er kann alles begreifen, was er benennen kann. Wie ist das übrigens, wenn ein Baum fällt und in diesem Moment keiner in der Nähe ist: Gibt es ein Geräusch? Nein, natürlich nicht, es gibt keines, denn ein Geräusch kommt erst durch das Gehörtwerden in die Welt.
    Um eines klar zu stellen: Jedes einzelne Inuit-Wort für Schnee können wir im Deutschen durchaus übersetzen – indem wir es umschreiben: frisch gefallener Schnee, der bereits in

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