Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen

einschätzen und |182| weiß präzise, wo seine Lücke ist. Sein Geschäft kann er perfekt definieren. Dabei ist er so überzeugend, dass man unwillkürlich das Scheckbuch zücken will, um ihm eine Beteiligung anzubieten. Das kann nur lukrativ sein, denkt man. Und dann, wenn man sich sein Business genau anschaut, dann merkt man, dass dieser große Geschäftsmann in Wahrheit herumstoppelt und herumkrebst, wirtschaftlich in keinster Weise vom Fleck kommt, beim Aufbau seiner Firma herumpuzzelt und stümpert, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt und an banalsten Kleinigkeiten scheitert. Er hat ein tolles Büro gemietet für erstmal acht Arbeitsplätze, so wie es im Business-Plan steht. Aber die acht Schreibtische sind leer. Am Eingang ein schönes Firmenschild, aber drinnen null Mitarbeiter. Er fragt mich: Scherer, wie finde ich acht gute Mitarbeiter? Also acht wirklich gute!
    Na gut, das ist eine konkrete Frage, die konkrete Antworten verdient. Wie kommt man an Mitarbeiter? Da gibt es ungefähr 300 gute Antworten, ich nenne ihm ein paar Dutzend davon.
    Er ist sofort begeistert. Darauf hätte er ja selbst kommen können, lacht er, will auflegen und ist ganz euphorisch, um die Ideen umzusetzen. Doch Stopp!
    Ist das überhaupt sein Ding? Wird er als genialer Verkäufer es schaffen, seine Fähigkeiten auf seine Mitarbeiter zu übertragen? Ist sein Verkaufserfolg kopierbar? Oder will er nur Führungskraft werden, weil man so etwas werden »muss«? Es gibt so viele geniale Mitarbeiter, die einen sensationellen Job als Stand-alone machen. Und nur, weil irgendein Karriereratgeber so etwas einmal behauptet hat, sollen sie das Führen anfangen. Alle meinen, Führungskraft werden zu wollen, auch wenn es den Einzelnen mitunter so was von keinen Spaß macht! Mein Ding war das noch nie. Ich glaube, dass ich eine schlechte Führungskraft bin. Deshalb hatte ich in meinen Unternehmen immer eine Geschäftsleitung oder einen Geschäftsführer. Möglicherweise könnte auch dem Makler der rosa Daumen fehlen. Er findet einfach nur Pfeifen, und das ist schlimmer als gar keine Mitarbeiter. Er ist ja wirklich ein Tausendsassa. Er kann alles in seinem Job. Aber er kommt nicht dazu, weil er so viel Unternehmerkram macht, weil er versucht, ein großes Unternehmen |183| aufzubauen, was anscheinend überhaupt nicht seinen Stärken entspricht, anders als er geglaubt hat. Anders als er sich das gewünscht hat.
    Ich schlage ihm vor, endlich seine wahren Fähigkeiten einzusetzen: Warum stellst du dir nicht drei Helferlein ein, die dir das Leben komplett organisieren, damit du 24 Stunden minus Schlaf das tun kannst, was du am besten kannst: Häuser verkaufen.
    Und so macht er es. Jetzt kommt er endlich vom Fleck, weil er seine Vision mit seinen persönlichen Stärken verbunden hat. Zuvor hatte er immer 1   000 Dinge machen wollen, die ihn immer weiter weg von dem geführt haben, was er wirklich kann. Er ist der Wald-Spezialist, der den Baum nicht gesehen hat vor lauter Wald.
    Und das ist die Auflösung: Der Wahrnehmungsfilter muss von Entweder-oder auf Sowohl-als-auch umgestellt werden. Glückskinder sehen den Wald und die Bäume. Sie können alles ausblenden, um nur das eine, das Bestimmte zu sehen, und gleichzeitig können sie alle Details verschwimmen lassen und das
Big Picture
erfassen. Sie sind schnell, sie wählen aus der großen Menge von Informationen die ein, zwei aus, die wirklich wichtig sind, und wischen den großen Rest mit großer Geste zur Seite. Sie sind gut organisiert, denn sie setzen für das, was zu erledigen ist, keine zur Tätigkeit passenden Termine, sondern sie bestimmen schlicht, was für sie Priorität hat.
    Sie haben das große Bild und sind gleichzeitig in der Lage, sich auf das einzelne Puzzleteilchen zu fokussieren und zu 100 Prozent im Hier und Jetzt die Sache, die sie vor der Nase haben, mit großer Geschwindigkeit und genialischer, traumwandlerischer Sicherheit gut zu machen. Nur eine Sache zur Zeit. Maximaler Fokus. Von oben sieht man genau, was hilfreich wäre, und mittendrin kann man seine Fähigkeiten in Ergebnisse umsetzen. Glückskinder sind die Meister des Sowohl-als-auch.
    Ja, es gab noch nie so viele überforderte Menschen, das ist vielleicht wahr. Aber das Warum und Wozu dieses Phänomens ist noch nicht geklärt. Es müsste nicht so sein. Denn in Wahrheit ist die Welt einfacher geworden. Es ist doch so: Für so gut wie jedes Problem gibt es im Internet heute gratis und in Sekundenschnelle die Lösung, das |184|