Glückskinder – Warum manche lebenslang Chancen suchen - und andere sie täglich nutzen
unlösbare Problem sieht aus wie ein durch und durch in sich selbst verschlungener Knoten. Ohne Willenskraft, ohne Entscheidungsstärke und Instinkt ist dieses Knäuel nie zu durchschlagen. Jeder könnte es tun, doch nur einer hat die nötige Zielstrebigkeit. Nur einer macht es dennoch und als Erster.
Bevor eine völlig neuartige Erfolgsstory beginnt, braucht es offensichtlich einen Gewaltakt, um sich von 1 000 guten, aber verwirrenden Ratschlägen, von allzu exakten Berechnungen und gewiss auch dem ein oder anderen Selbstzweifel zu trennen.
Für das Glück sind schmerzhafte Schnitte nötig.
»Der hat so viel Glück, dass es weh tut« – kaum einer, der diesen Spruch zitiert, ahnt, wie sehr er Recht hat. Für das Glück sind schmerzhafte Schnitte nötig. Glück hat nur, wer sich – ohne zu zögern, ohne Kompromisse – von all dem lähmenden Ballast um ihn herum und in ihm selbst trennt. Alexanders Blick war eiskalt, als er zum entscheidenden Schlag ausholte. Er sah sein Heer der 30 000 nicht mehr, er hatte das Lächeln der Priester ausgeblendet, nicht einmal die gleißende Sonne über sich nahm er wahr. Da waren nur der Knoten und er – und das Schwert. Zack. Das Glück kommt wie ein Fallbeil.
|176| F ILTER
Was Wald, Bäume und Lichtungen mit komplexitätskompetenz zu tun haben
W as interessiert mich mein Geschwätz von gestern«, soll Konrad Adenauer gesagt haben. Oder auch nicht, jedenfalls lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen, ob er es wirklich gesagt hat. Und wann und in welchem Zusammenhang. Googeln Sie mal und dann versuchen Sie bitte herauszufinden, ob der Spruch von Charles de Gaulle, Robert Bosch, Winston Churchill, Theodor Heuss oder Konrad Adenauer stammt. Ich habe es nicht geschafft.
Daraus lässt sich entweder schließen, dass das Geschwätz von gestern tatsächlich relativ vergänglich ist oder dass die berühmte Schwarmintelligenz des Internets vielleicht doch nicht immer so schlau ist. Oder beides. Oder ich kann nicht so gut googeln. Oder ich nehme mir nicht genügend Zeit dazu – weil es nämlich völlig uninteressant ist, wer das nun in welchem Zusammenhang gesagt hat.
Dieser Spruch, wer auch immer ihn zuerst gesagt hat, kam mir neulich spontan in den Sinn, als mich ein skeptischer Mensch nach meinem Vortrag zur Rede stellte: »Herr Scherer, Sie haben sich vorhin an einer Stelle selbst widersprochen!«
Dass ich mir selbst widerspreche ist erstens normal und zweitens sinnvoll.
Er schaute mich dabei vorwurfsvoll an. Ich überlegte kurz, ob ich mir jetzt bei irgendetwas Unmoralischem ertappt vorkommen sollte. Aber das war nur ein Reflex. Dass ich mir selbst widerspreche ist erstens normal und zweitens sinnvoll.
Normal ist es, weil ich ein widersprüchlicher Mensch bin. Es liegt in meiner Natur, auf Fragen mit mindestens zwei Extrempositionen zu antworten. Das tönt dann so, als |177| würde ich jetzt das eine und nachher das andere behaupten. Ich versichere Ihnen, dass ich es immer ernst und ehrlich meine. Es ist aber nun mal so, dass es häufig kein rechts oder links, kein falsch oder richtig, kein digitales Denken gibt. Zusätzlich glaube ich auch, dass mich manchmal meine eigene historische Kontinuität überhaupt nicht interessiert. Sie können auch sagen, ich lebe ganz im Hier und Jetzt, wenn Sie möchten, das klingt zumindest eingängiger.
Und sinnvoll ist es, wenn ich mir widerspreche, weil ich nicht will, dass jemand anfängt, mir zu glauben. Das sollten Sie niemals tun. Denn was Sie jetzt im Moment für richtig halten, könnte sich im nächsten Moment für Sie als falsch herausstellen. Und dafür kann ich schließlich nicht verantwortlich sein. Außerdem: Wenn das eine richtig ist, dann kann trotzdem das andere ebenfalls richtig sein, nicht wahr? Ich sagte meinem Kritiker schlicht, dass er recht habe. Das machte ihn sprachlos, aber es war nur ehrlich. Die Wahrheit macht uns oft sprachlos.
Die Welt ist nicht so entschieden, wie wir selbst manchmal gerne wären. Es ist mit vielen Dingen so wie mit Schrödingers Katze. Der österreichische Physiker schrieb 1935 ein berühmtes Gedankenexperiment nieder:
»Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): In einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Laufe einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es,
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