Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
Backe?
    Ich taste
und halte ein Occupy-Flugblatt in der Hand. »Wir sind 99%«, steht auf dem Zettel,
doch die Zahl ist völlig verblasst.
    Wahrscheinlich
steht sie jetzt schwarz und kräftig auf meiner Backe.
     
     
     
     

29
     
    Als der Aprilregen die letzten Ostereier
aus den Gärten spülte, lag ich zu Hause und holte Tonnen von Schlaf nach. Spät am
Montagabend war ich in Heidelberg angekommen, hatte mich ins Bett fallen lassen,
um erst am nächsten Mittag wieder aufzuwachen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel
mit all den Namen von Leuten, die nach mir gefragt hatten. Einige von ihnen hatte
Christine unterstrichen. Kommissar Fischer war sogar zweimal vertreten. Ich nahm
den Zettel und warf ihn in den Papierkorb. Anschließend legte ich mich wieder hin.
    »Erzähl
doch mal«, sagte Christine beim Abendessen. Draußen pladderte der Regen gegen die
Scheiben, in den Zeitungen warnten sie vor übertriebenem sportlichen Ehrgeiz. Schon
wieder sei ein ambitionierter Läufer mittleren Alters bei einem Halbmarathon kurz
vor dem Ziel zusammengebrochen und liege auf der Intensivstation. »Tödliches Joggen!«,
titelte die Bild-Zeitung.
    »Darf ich
nicht«, entgegnete ich mit vollem Mund. »Alles streng geheim.« Dann erzählte ich.
Von der Fahrt nach Leipzig, von de Weerts Herzinfarkt, von der Kältekammer und Tietjes
abgebrannter Hütte. War ja auch einiges los gewesen, seit ich mich am Freitag mit
Katinka auf den Weg gemacht hatte.
    »Und nun
rate mal, wer 1936 in Berlin den Ticketverkauf organisiert hat. Na? Die Deutsche
Bank. Vier Reichsmark die billigsten Plätze.«
    »Woher weißt
du das? Du interessierst dich doch sonst nicht für Geschichte.«
    »Hab eine
Führung mitgemacht.« Ich ging zum Kühlschrank, meinem Freund, der immer eine Flasche
Bier für mich bereithielt. »Sag mal, du hast doch ein Konto bei der Postbank?«
    »Mehrere.«
    »Wurde die
nicht vor Jahren von der Deutschen Bank aufgekauft?«
    »Kann sein.«
    »Dann lass
dich nicht von einem Occupy-Aktivisten erwischen. Die finden das gar nicht gut.«
    Sie lachte
verblüfft. »Und wo soll ich dann ein Konto eröffnen? Denkst du, die anderen Banken
seien ein Deut besser?«
    Da hatte
sie auch wieder recht. Bei meinem nächsten Berlinbesuch würde ich den Holzfäller
fragen, ob er mir eine Tugendbank mit Gutmenschsiegel nennen könnte. Ansonsten trank
ich an diesem Abend mehr Bier, als mir gut tat, und bekam sentimentale Anflüge,
die mir am nächsten Tag peinlich waren.
    Christine
war es nicht peinlich. Sie fand, ich solle öfter so drauf sein.
    Die Woche
verging ohne größere Ereignisse. Christine hatte frei, der Regen hielt an. Wir unternahmen
einen Ausflug ins Neckartal, der wie erwartet völlig in die Hose ging, weil zu nass,
zu kalt, zu teuer. Mit Horden von Touristen zwängten wir uns in eine ungeheizte
S-Bahn, deren Scheiben von innen beschlagen waren. Ein pitschnasser Riesenhund schmiegte
sich an meine letzten trockenen Stellen. In Neckarsteinach soll es vier Burgen geben,
die man von einem bestimmten Punkt aus gleichzeitig sehen kann. Wir sahen nicht
mal eine.
    »Die Wochenende
wird schön«, verkündete ein amerikanischer Tourist tapfer. »Dann kommt die Sommer!«
    Aber so
lange konnte ich nicht warten. Schon am Mittwochnachmittag holte ich mein Rad aus
dem Hof und machte eine kleine Ausfahrt. Im Dauerregen. Das Training mit Katinka
hatte Spuren hinterlassen: Ich war süchtig.
    Vor allem
aber brauchte ich eine Auszeit, um mir den ganzen Fall noch einmal durch den Kopf
gehen zu lassen. Tietje, de Weert, Katinkas Familie, Madeleine Klein – da verlor
man ja den Überblick. Nicht zu vergessen Andreas Karst, Arzt im Dauereinsatz. Komisch,
dass er ausgerechnet bei der Entdeckung eines Toten seine aufdringlich gute Laune
verloren hatte. Als er beruflich gefordert war! Okay, das stimmte so natürlich nicht.
Karsts Metier waren Bänderdehnungen und Schambeinentzündungen. Vor einem schockgefrorenen
Körper durfte sogar der Arzt des Jahres kapitulieren. Wahrscheinlich sprach nur
der Neid auf den erfolgreichen Strahlemann aus mir. Trotzdem galt es, die Augen
offen zu halten.
    Karst hin
oder her, eine andere Frage drängte sich immer stärker in den Vordergrund: Waren
sämtliche Aufzeichnungen Tietjes durch den Brand vernichtet worden? Typen wie er
pflegten sich doch rückzuversichern. Indem sie ihr Material an einem sicheren Ort
zwischenlagerten. Bei einem befreundeten Anwalt zum Beispiel. Bei Vertrauten. Oder
in einem Schließfach am Bahnhof. Diese

Weitere Kostenlose Bücher