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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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reden«, höre ich eine kernige Stimme neben mir. Ich wende den
Kopf.
    Ah, der
andere Startblock. Besetzt durch einen Mann oder besser: durch eine Skulptur von
Mann, der alle paar Sekunden eine neue Kraftpose einnimmt. Ehemaliger Zehnkämpfer,
ganz bestimmt.
    »Ich bin
ehemaliger Zehnkämpfer«, sagt der Mann.
    »Sieht man.«
    »Halt.«
    »Wieso halt?
Womit halt?«
    »Halt ist
mein Name. Karl Ritter von Halt.« Er streckt mir seine Zehnkämpferhand hin.
    »Ist halt
Ihr Name«, echoe ich.
    »Olympiateilnahme
1912«, erklärt er. »Vielfacher deutscher Meister. Jetzt Sportfunktionär. Mitglied
von IOC und SA. Im Ersten Weltkrieg durfte ich mir das Ritterkreuz verdienen. Aber
lassen Sie uns über Geld reden.«
    »Worüber
sonst?«
    »Was glauben
Sie, was das alles hier kostet?« Seine Hand fährt einmal durch das hellerleuchtete
Stadion. Es sieht aus, als wolle er den Bau packen und kräftig durchschütteln wie
eine Spardose. Mitsamt den Tausenden von Kindern und Hunderttausenden von Zuschauern
und dem einen Führer.
    »Das hier?«,
frage ich. »Das alles?«
    Er nickt.
    »Viel«,
sage ich. »Sehr viel.«
    »Allerdings«,
bestätigt er, erfreut über mein Verständnis. »Sehr, sehr viel sogar. Nicht nur Olympia.
Nicht nur das Stadion, das Maifeld, die Dietrich-Eckardt-Bühne, die große Prachtstraße,
die Renovierung des Rathauses und das Olympische Dorf. Sondern auch das KZ Sachsenhausen,
das wir gerade bauen.« Er weist über die Schulter Richtung Nordwesten.
    »Verstehe.«
    »Oder das
Zigeunerlager in Marzahn. Gestern erst startete die Legion Condor drüben in Döberitz.«
Jetzt zeigt er nach Westen. »Was das kostet! Herrschaftszeiten. Und deshalb lasse
ich SS-Führer Himmler regelmäßig einen bestimmten Geldbetrag zukommen, in aller
Freundschaft, versteht sich. Ich bin nämlich nicht nur Sportler, sondern auch Direktor
der Deutschen Bank.«
    »Ach, die
existiert schon?«
    »Na, hören
Sie mal!« Er ist fast ein wenig empört. »Wir sind älter als jedes Grundgesetz. Wir
entstammen vordemokratischen Zeiten! Und wenn ich die SS alimentiere, ist das gewissermaßen
eine Spekulation auf den Erfolg des Nationalsozialismus. Wir investieren ins Braune,
zocken mit dem Hakenkreuz.«
    »Kennen
Sie Occupy?«
    »In welcher
Disziplin treten die an? Sind die überhaupt qualifiziert?«
    »Wenn ich
das wüsste! Sie tragen Gesichtsmasken.«
    »Fechter
wahrscheinlich. Da werden sie gegen uns Deutsche keinen Stich machen.«
    Ein dumpfes
Grollen lässt ihn verstummen. Aus den Pilzlautsprechern tropft Theaterblut, das
den Orchesterklang verklebt. Katinkas Oma, die 14-jährige Olympiateilnehmerin, steht
am Rand des Rasens und zieht eine kleine Leica. Denn jetzt kommen die echten Helden,
die keine Maske brauchen. Waffentragende Olympioniken: bronzene Haut, silbernes
Schwert, goldener Heiligenschein. Vaterlandes höchst Gebot in der Not: Opfertod .
Der Boden zittert.
    »Was war
das?«, frage ich Ritter von Halt. »Ein Erdbeben?«
    Er lacht
dröhnend. »Keine Angst, das kam aus den Blaupunkt-Werkstätten in den Katakomben.
Dort wird Kriegswaffenzubehör hergestellt. Und wo gehobelt wird – Sie wissen ja.«
    Beifall
für die Tänzer, die sich auf schwankendem Rasen duellieren. Rufe aus dem Publikum:
100 Reichsmark auf Kreutzberg! 200 auf Stammer! Wer bietet mehr? Ritter von Halt
schüttelt nur den Kopf. Sie wissen noch nicht vom Walten des Schicksals .
Katinkas Oma knipst. Aus der Führerloge schält sich ein Megafon, eine überdimensionale
Flüstertüte, und schon schallen Worte durchs Stadion, auf gut Kerndeutsch geschrien,
dass es kein Ausländer versteht: »Die deutsche Armee muss in vier Jahren einsatzfähig
sein! Die deutsche Wirtschaft muss in vier Jahren kriegsfähig sein!«
    Ritter von
Halt zuckt zusammen. »Vier Jahre?«, murmelt er. »Das wird knapp. Das wird sehr knapp,
mein Führer.«
    Auch die
Musik scheint zusammengezuckt, die Plattenspielernadel muss einige Rillen zurückgesprungen
sein. Hin und her wogt der Kampf der beiden Tänzer, bis der eine aushaucht sein
glorreiches Leben. Vaterlandes , krächzt es erneut aus den Lautsprechern, Vaterlandes höchst Gebot …
    Ich warte.
    »Sehr knapp«,
murmelt Halt.
    … höchst
Gebot … in der Not …
    »Ja was
denn nun?«, rufe ich, vom Schluckauf geschüttelt. »Was ist das höchste Gebot?«
    Opfertod !, brüllt
das ganze Stadion gut gelaunt, und die Musik wirft sich ins Zeug, die Flakscheinwerfer
strahlen auf, die Pilzlautsprecher blinken in den Farben des Regenbogens. Oben

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