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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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beginnt
der Führer, mit Goebbels und Riefen-stahl zu schunkeln. Opfertod!, jubelt 400-Meter-Rekordler
Harbig und stürmt gen Osten. Opfertod!, schwäbelt Luz Long, der sich per Handshake
von Owens, seinem Konkurrenten, verabschiedet. Opfertod!, brummen Ruderer und Fußballer,
bevor sie ihre Asche auf den Feldern der Ehre verstreuen.
    Ich springe
auf. »Moment! Ich will auch gefragt werden!«
    »Setzen
Sie sich!«, zischt von Halt.
    »Ihr könnt
mich mal mit eurem Opfertod! Ich will leben! Einfach nur leben.«
    »Einen Arzt,
bitte.«
    Schon rückt
die medizinische Abteilung an, an ihrer Spitze der deutsche Olympiaarzt. Dr. Karst
sieht er überhaupt nicht ähnlich, heißt auch nicht Karst, sondern Gebhardt und ist
zugleich Leibarzt Himmlers. Ein Experte auf dem Gebiet der körperlichen Leidensfähigkeit,
wie mir Halt im Flüsterton versichert. Für Gebhardt ist Olympia ein einziger Menschenversuch.
Und nach Ende der Spiele wird er weiter experimentieren, Körper für Körper, Versuchsmensch
für Versuchsmensch.
    »Womit kann
ich dienen?«, erkundigt sich der Mediziner.
    Ich laufe
los. Laufen kann ich ja inzwischen! Sie werden mir doch nicht das Leben nehmen,
das bisschen an wildsäuischem Leben, das ich habe. Ich drängle mich durch die Reihen
der Jungen und Mädchen, durch Anmut und Jugendglück – als ich plötzlich
Katinka sehe. Sie ist in den Waffentanz geraten, der just in diesem Moment mit dem
Schwerttod endet, und bekommt einen Lorbeerkranz in die Hand gedrückt. Hier, für
den Unterlegenen. Nun mach schon! Blubbernd bombastische Musik. Langemarck-Schauer
überrieseln die Sportwelt. Allen Spiels heil’ger Sinn , krächzt es durch die
Führerflüstertüte. Das muss Carl Diem sein, der heisere Souffleur. Alles hält den
Atem an. Worin besteht er nun, der Sinn der Spiele? Sag du es uns, Katinka!
    Opfertod !, dröhnt
es weit über das Maifeld. Dort hinten, im Untergeschoss des Glockenturms, dieses
pulsierenden Riesenphallus, wandeln die Geister von Langemarck, üben sich im Schattenboxen.
Deutsche Olympiasieger, zeugt noch einmal Nachwuchs, bevor ihr im Kampf gegen die
Minderrassigen fallt! Eure Leiblichkeit soll erhalten bleiben, euer arischer Samen
soll aufgehen auf dem Maifeld, nach dem Willen Himmlers.
    »Katinka!«,
rufe ich. »Tu’s nicht! Lass uns abhauen!«
    Ich sehe,
wie sie zögert. Wie sie den Lorbeerkranz durch ihre Finger gleiten lässt. Ein großer
Moment, der in Riefenstahls Film den Höhepunkt bilden könnte. Katinkas Oma dagegen
hat die Kamera abgesetzt.
    »Denk an
Simon«, bittet sie ihre Enkelin.
    Katinka
atmet schwer. Hinter ihr steht Mary Wigman, die Totenpriesterin des Tanzes, ungeduldig
auf ihren Einsatz wartend. Die Olympiaglocke dröhnt, die Flamme lodert, oben auf
der 13 Meter breiten Anzeigentafel erscheint eine Schrift, von 21 Helfern auf drei
Geschossen bedient.
    Allen Spiels
    heil’ger
Sinn:
    Vaterlandes
Hochgewinn.
    Vaterlandes
höchst Gebot
    in der Not:
    Opfertod!
    »Verschwinden
wir!«, brülle ich.
    Endlich
lässt Katinka den Lorbeerkranz fallen. Als sie losrennt, stiebt das Berliner Jungvolk
auseinander. Aber nicht wegen ihr! Die Wehrmacht strömt durch das Marathontor ein,
zuerst die Marinesoldaten, dann die Luftwaffe in Blaugrau. Rum-ta-ta! Katinka schreckt
zurück. Ein Riesenorchester intoniert alte Landsknechtsmärsche und die Freischütz-Ouvertüre,
Wagner, Strauß und natürlich den Badenweilermarsch, Hitlers Favorit. In Kultur eine
Goldmedaille! Über 3000 Mitwirkende beim großen Zapfenstreich. Der Reichsarbeitsdienst
jongliert mit Baumstämmen.
    »Olympiateilnehmer«,
höre ich Katinkas Vater seufzen. »Einmal nur!«
    Über uns
braust die Legion Condor Richtung Spanien.
    »Einmal
nur!«
    Ich weiche
einem wirbelnden Baumstamm aus. Plötzlich sehe ich die Welt klarer, als sie ist.
Weil Hitler die Juden – weil die Juden Palästina – weil die Palästinenser Fürstenfeldbruck.
So schließen sich die Olympischen Ringe, alles fließt ineinander, gehört irgendwie
zusammen. Anderes Beispiel: Wir sind wieder wer – weil Weltmeister dank Pervitin
– erprobt durch die Weltkriegspiloten – verordnet durch Hitler. Noch so ein sich
schließender Kreis. Ich gähne. Mein Mund ein O: wie Orff, wie Olympia, wie Occupy.
    Ich bin
müde. Ich werde wach. 110.000 Festspielbesucher klatschen mich aus dem Schlaf.
    Das grüne
Rasenviereck.
    Die Wolken
über Berlin.
    Blau.
    Blinzelnd
richte ich mich auf. Irgendwo weit weg die Stimme unseres Stadionguides. Was klebt
da an meiner

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