Glueckstreffer - Roman
schließlich ganz allein auf der Welt. Ich habe mir vorgestellt, wie es für Dich sein würde, ohne Eltern aufzuwachsen, und habe beschlossen, meinem Sohn ein solches Schicksal zu ersparen. Ich habe die Ärzte von der Entbindungsstation angerufen und sie gebeten, mir Alex zu bringen, damit ich ihn in meinen Armen halten konnte. Als ich ihn endlich bei mir hatte, wollte ich ihn nie wieder loslassen.
Warum schreibe ich diesen Brief? Tausendmal schon wollte ich Dich für das, was ich getan habe, um Verzeihung bitten. Nicht nur für den Unfall, sondern auch dafür, dass ich Dich in dem Glauben gelassen habe, schuldig zu sein. Ich hätte verhindern können, dass Du diese Last all die Jahre tragen musstest. Aber ich habe mich so sehr geschämt, dass ich nicht in der Lage dazu war, die Wahrheit zuzugeben. Und selbst jetzt kann ich sie Dir nicht persönlich unter vier Augen beichten.
In den Jahren nach dem Unfall habe ich Alex geliebt, wie man einen Sohn nur lieben kann. Er ist das kostbarste Geschenk. Statt zur Bürde wurde er zur Freude meines Lebens. Jedes Mal, wenn ich nahe daran war, mich bei Dir zu entschuldigen und die Wahrheit zu erzählen, zwang ich mich, es nicht zu tun. Schließlich hätte das bedeutet, zwei schreckliche Dinge einzugestehen: erstens, dass ich Alex nach der Geburt beinahe für immer allein gelassen hätte. Und zweitens, dass ich nie das Glück gehabt hätte, ihn großzuziehen – wäre der Unfall nicht gewesen, der Deine Familie das Leben kostete. Ich wäre einfach weitergefahren, ohne je zurückzublicken. Dein schmerzlicher Verlust hatte mir unglaubliches Glück beschert.
Ich bin kein gläubiger Mensch. Das allerdings hat mich nicht davon abgehalten, Gott jeden Tag aufs Neue dafür zu danken, dass der Unfall mich zur Umkehr gezwungen hat. In diese Gebete schloss ich auch stets den Wunsch mit ein, dass Gott wiedergutmachen möge, was ich Dir angetan hatte.
Das alles tut mir entsetzlich leid. Ich wünsche Dir und Deinem Mann alles Glück der Welt. Haltet aneinander fest, und lebt jeden Augenblick, als sei es Euer letzter. Eines Tages wird dieser Moment kommen. Eher später als früher, wie ich hoffe. Doch wenn Ihr das Leben genießt, spielt es keine Rolle, wie lange es dauert.
Gott segne Dich!
Jacob Barnes
P.S. Falls Du je mutlos oder traurig sein solltest, empfehle ich Dir, Dich mit meinem Sohn Alex zu treffen. Er verbreitet wie kein anderer gute Laune. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.
P.P.S. Jedes Jahr an Deinem Geburtstag legen Alex und ich Steine auf das Grab Deiner Eltern. Ich hoffe, Du erlaubst ihm, diese Tradition weiterzuführen. Gern würde ich sagen, dass ein tieferer Sinn dahintersteckt, aber das ist leider nicht der Fall. Für mich sind zu viele Dinge im Leben vorübergehend. Die Steine sind lediglich die Erinnerung daran, dass nicht alle Dinge so schnell vergehen. Einiges überdauert sogar Jahrzehnte – und besteht vielleicht sogar für immer. Meine Liebe zu meiner Frau und meinem Sohn zum Beispiel und sicher auch Deine Liebe zu Deinen Eltern. Und hoffentlich auch die Liebe, die Du für Deinen Ehemann empfindest. Gott behüte dich, Sophia Maria Jones.
Kapitel 36
Du hast schon vieles im Leben überwunden, nur nicht deine eigene Unzulänglichkeit.
SOPHIE LEGTE JACOB BARNES’ Brief auf den Nachttisch, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und rief dann Ellen an.
»Du kannst dir nicht vorstellen, was ich heute alles erlebt habe«, begann sie, als ihre Pflegemutter sich meldete.
»Es ist zwar schon spät, aber ich werde trotzdem versuchen, deinem Bericht aufmerksam zu folgen.«
In der folgenden halben Stunde erzählte Sophie ausführlich, was zwischen ihr und Garrett geschehen war: angefangen von seinem unerwarteten Besuch im Chocolats de Sophie , gefolgt vom Unfall und seinem Geständnis, dass er schon vor ihrem ersten Date gewusst hatte, wer sie war, und seinerseits davon überzeugt war, für den Unfall verantwortlich zu sein, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren. Anschließend las sie Ellen Jacob Barnes’ Brief vor.
»Großer Gott!«, entfuhr es Ellen, als Sophie geendet hatte. »Wenn du jetzt nicht erkennst, dass hier eine höhere Instanz ihre Hand im Spiel hatte als Glück oder Zufall, gehst du bemitleidenswert blind durchs Leben.«
»Ellen … bitte!«
»Komm mir nicht damit! Ich habe von Anfang an gesagt, dass der Unfall irgendwann sein Gutes haben wird. Mr. Barnes hat das Gute in seinem Leben erkannt und du nun hoffentlich auch.« Sie machte
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