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Glueckstreffer - Roman

Glueckstreffer - Roman

Titel: Glueckstreffer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K A Milne
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ein falsches Spiel sie trieb. Das Klügste in dieser Situation wäre es gewesen, den Ort des Geschehens sofort zu verlassen und nicht zurückzusehen. Doch die Versuchung zu erfahren, wie sich Jim aus der Affäre ziehen würde, war zu groß.
    Jim, auf den sich mittlerweile die ungeteilte Aufmerksamkeit der Umstehenden konzentrierte, räusperte sich und fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. Dann richtete er mit überraschender Selbstsicherheit das Wort an die Reporter. In sauberer Kleidung, glatt rasiert und mit neuen Zähnen wäre er kaum von einem überzeugenden Politiker zu unterscheiden gewesen – soweit das Attribut »überzeugend« für diese Berufssparte überhaupt zutreffend war.
    »Lassen Sie mich zuerst erklären, was Sie alle vermutlich wissen möchten«, begann er. »Ist der Typ ein Penner?«
    Einige kicherten.
    Jim achtete nicht darauf. »Die Antwort ist: Ja. Ich lebe auf der Straße. Und das ist ein hartes Leben. Man hat viel Zeit zum Nachdenken.«
    »Und wir sollen glauben, dass ein Obdachloser in der Lage ist, eine solche Anzeige zu verfassen?«, rief jemand, und weitere Zweifler meldeten sich zu Wort.
    Jim hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Lassen Sie mich ausreden! Ich will es ja erklären. Ob Sie mir glauben … Das ist Ihr Problem. Ich sage nur, was ich weiß. Machen Sie damit, was Sie wollen. Im vergangenen Jahr um diese Jahreszeit ist eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter an mir vorbeigekommen. Die Mutter hat mir fünf Doller gegeben. Bevor sie weitergingen, hat mich das kleine Mädchen gefragt, ob ich glücklich sei. Und das hat mich zum Nachdenken gebracht. Bin ich glücklich? Was ist eigentlich Glück? Ich sehe täglich Leute in prächtigen Autos zu ihren großen, beheizten Häusern fahren. Sind diese Leute glücklicher als ich? Keine Ahnung! Jedenfalls habe ich beschlossen, es herauszufinden. Das hat gedauert. Wie Sie sehen können, schwimme ich nicht unbedingt in Geld. Aber ich habe gespart, alles zusammengekratzt, wie man das so tut, wenn man unbedingt etwas haben will. Und vor ungefähr einem Monat hatte ich genug beisammen, um mir ein Postfach zu mieten und eine Suchanzeige in die Zeitung zu setzen. Ich wollte wissen, was die anderen unter Glück verstehen. In meinem Leben hat sich immer alles, was mich glücklich gemacht hat, irgendwie in Luft aufgelöst. Mein Job. Mein Haus. Meine Ersparnisse. Ich war sehr gespannt darauf zu erfahren, ob andere – diejenigen, die es geschafft haben – mehr über das Glück wüssten als ich. Irgendjemand muss es doch schließlich wissen, oder?« Er verstummte und sah sich um. »Das ist alles«, fügte er schließlich hinzu. »Das ist meine Geschichte.«
    Im ersten Moment herrschte vollkommene Stille. Dann fragte ein Reporter: »Wenn das Ihr Postfach ist, warum haben Sie dann eine Frau hineingeschickt, um es zu leeren?«
    Jim strich sich nachdenklich über den Bart. »Meinen Sie, ich lese keine Zeitungen? Mann, ich schlafe jede Nacht auf Zeitungen! Ich habe in den letzten Tagen sämtliche Artikel verschlungen, die ich finden konnte. Dachte mir schon, dass Sie versuchen würden herauszufinden, wer die Anzeige aufgegeben hat. Als dann mehr Leute als sonst in der Eingangshalle dieser Post herumgeschlichen sind, habe ich die junge Frau auf der Straße angesprochen. Ich kenne sie. Sie ist immer nett und großzügig zu mir, und sie war auch bereit, für mich ins Postamt zu gehen. Aber dass ihr euch wie die Geier auf sie stürzen würdet, hätte ich nicht erwartet. Hätte ich die Ü-Wagen in der Seitenstraße früher gesehen, hätte ich sie gar nicht erst gefragt. Das hätte ich ihr nicht zugemutet.« Er sah Sophie an. »Noch mal vielen Dank, Ma’am. Und entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.«
    Sophie machte eine abwehrende Geste. Sie fürchtete noch immer, dass jemand auf die Idee käme, sich zu erkundigen, weshalb sie noch immer den Schlüssel zum Postfach in der Hand hielt. Oder warum sie Jim den gelben Zettel, den sie dem Fach entnommen hatte, nicht endlich übergab. Aber niemand kümmerte sich um sie. Offenbar waren alle viel zu begeistert, ihre Story endlich im Kasten zu haben, um sich über Nebensächlichkeiten Gedanken zu machen.
    Als Jim sich erkundigte, ob noch jemand Fragen habe, kam erneut Leben in die Reporter. Alle redeten auf einmal: »Wie lange leben Sie schon auf der Straße? Wie alt, schätzen Sie, war das Mädchen, das sie veranlasst hat, über Glück und Selbstverwirklichung nachzudenken?«
    Sophie

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