Gluehende Dunkelheit
Tragödie zu verpassen, die sich unten im Empfangszimmer zweifellos ereignete.
Verschlafen blinzelte Miss Tarabotti ihre Mutter an. »Äh …« Sie konnte nicht klar denken. Ich habe mich mit einem Vampir getroffen, wurde von Wissenschaftlern entführt, von einem Werwolf angegriffen und verbrachte dann den Rest der Nacht händchenhaltend mit einem nackten Mitglied des britischen Hochadels. Sie sagte noch einmal: »Äh …«
»Sie war mit dem Earl of Woolsey zusammen«, erklärte Professor Lyall, in einem Tonfall, als ob damit die Angelegenheit geregelt wäre.
Mrs Loontwill ignorierte ihn und machte ganz den Eindruck, als wollte sie ihre Tochter schlagen. »Alexia! Du lüsternes Flittchen!«
Professor Lyall drehte sich so schnell zur Seite, dass sich sein Schützling, den er immer noch auf den Armen hielt, außerhalb von Mrs Loontwills Reichweite befand. Wütend starrte er sie an.
Daraufhin richtete Mrs Loontwill ihre Raserei gegen ihn, wie ein tollwütiger Pudel. »Nur damit Sie es wissen, junger Mann! Keine meiner Töchter verbringt eine ganze Nacht fort von zu Hause mit einem Gentleman, ohne zuerst mit ihm vermählt zu werden! Es ist mir egal, ob er ein Earl ist. Ihr Werwolfskerle mögt hinsichtlich solcher Dinge vielleicht andere Regeln haben, aber wir leben im neunzehnten Jahrhundert und lehnen derart unsittliches Verhalten schlichtweg ab! Also wirklich, ich sollte meinen Mann veranlassen, Ihren Alpha auf der Stelle zu fordern!«
Professor Lyall zog eine wohlgeformte Augenbraue hoch. »Es steht ihm jederzeit frei, dies zu tun. Allerdings würde ich diese spezielle Vorgehensweise nicht empfehlen. Soweit ich mich zurückbesinne, hat Lord Maccon tatsächlich noch nie ein Duell verloren.« Er sah auf Alexia hinab. »Außer gegen Miss Tarabotti natürlich.«
Alexia lächelte zu ihm hoch. »Sie können mich jetzt absetzen, Professor. Ich bin nun hellauf wach und in der Lage zu stehen. Mama hat so eine Wirkung auf die Leute. Sie ist wie ein Guss kaltes Wasser.«
Professor Lyall tat wie gebeten.
Miss Tarabotti stellte fest, dass sie nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Ihr ganzer Körper schmerzte, und ihre Beine wollten ihr den Dienst verweigern. Schwer taumelte sie zur Seite.
Professor Lyall wollte sie ergreifen, doch er verfehlte sie.
Mit der majestätischen Tüchtigkeit aller guten Butler erschien Floote an ihrer Seite, nahm ihren Arm und verhinderte so ihren Sturz.
»Vielen Dank, Floote«, sagte Alexia, während sie sich dankbar auf ihn stützte.
Felicity und Evylin, beide nun anständig in Tageskleider aus Baumwolle gehüllt, erschienen erneut und setzten sich sofort auf das Chesterfield-Sofa, bevor ihnen noch jemand befehlen könnte, den Raum wieder zu verlassen.
Alexia sah sich um und bemerkte, dass ein Mitglied der Familie immer noch mit Abwesenheit glänzte. »Wo ist denn der Squire?«
»Mach dir darüber mal keine Gedanken, mein Fräulein. Was geht hier vor? Ich verlange eine augenblickliche Erklärung«, forderte ihre Mutter und schwenkte drohend den Finger.
Genau in diesem Augenblick erklang ein höchst gebieterisches Klopfen an der Eingangstür. Floote übergab Alexia wieder an Professor Lyall und ging öffnen, während Lyall Miss Tarabotti hinüber zum Armsessel geleitete. Mit einem wehmütigen Lächeln setzte sich Alexia hinein.
»Wir sind nicht zu sprechen!«, brüllte Mrs Loontwill Floote hinterher. »Für niemanden!«
»Für Uns sind Sie zu sprechen, Madam«, sagte eine sehr gebieterische Stimme.
Die Königin von England rauschte in den Raum: eine kleine Frau in den späten mittleren Jahren, die jedoch jünger wirkte.
Floote folgte in ihrem Schlepp und sagte in einem geschockten Tonfall, den Alexia niemals von ihrem unerschütterlichen Butler zu hören geglaubt hätte: »Ihre königliche Hoheit, Queen Victoria, für Miss Tarabotti.«
Mrs Loontwill fiel in Ohnmacht.
Alexia hielt das für das Beste und Vernünftigste, was ihre Mama seit sehr langer Zeit getan hatte.
Floote entkorkte eine Flasche Riechsalz, doch Alexia schüttelte entschieden den Kopf. Dann machte sie Anstalten, sich zu erheben und zu knicksen, doch die Königin hob abwehrend die Hand.
»Keine Förmlichkeiten, Miss Tarabotti. Wie Wir hörten, hatten Sie eine interessante Nacht«, sagte sie.
Miss Tarabotti nickte stumm und bedeutete der Königin mit einer höflichen Geste, sich zu setzen. Sie war tief beschämt über das – wie es ihr mit einem Mal erschien – schäbige Durcheinander des Empfangszimmers.
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