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Glühende Lust

Glühende Lust

Titel: Glühende Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Simon
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ihre Hand. Ihre Miene war angeekelt verzogen, als sie die Stoppeln damit einrieb.
    »Schneide ihn nicht, sonst wacht er vielleicht auf«, mahnte Merit. Ihre Schultern zitterten, so sehr war sie von Aufregung erfüllt. Dass seine untere Gesichtshälfte normal geformt war, ließ sich bereits erkennen, aber nun wollte sie alles sehen. Die Schneide kratzte über die Stoppeln, schob das Öl beiseite und offenbarte ein menschliches Gesicht. Tani war geschickt. Trotz ihres Widerwillens, dem sie mit grummelnden Lauten Ausdruck verlieh, schnitt sie ihn nicht. Sie wischte ihn mit einem Tuch sauber und kroch zu Merit herum.
    »Und?«, flüsterte sie. »Hast du das erwartet?«
    Merit schüttelte den Kopf. Da war nichts, was der Mann hätte verbergen müssen – es sei denn, Assyrer hielten männliche Schönheit für verachtenswert. Sein Kinn, die Linie der Wangen, die kräftige Form seiner Lippen, alles fügte sich auf angenehme Weise zusammen. Die Vollkommenheit störten lediglich zwei winzige, hell schimmernde Narben am Kinn und unterhalb eines Auges, als wollten sie gemahnen, dass kein Gott vor ihnen lag.
    »Er wird uns umbringen, wenn er das merkt«, riss Tani sie in die Wirklichkeit zurück.
    »Falls er überlebt. Wir müssten einen Arzt … ach, das ist ja unmöglich, jetzt da draußen einen zu finden. Wenigstens verbinden sollten wir ihn. Und dann lassen wir ihn liegen; sollen dann die Götter entscheiden.«
    »Können wir ihnen die Entscheidung nicht überlassen, ohne uns weiter um ihn zu kümmern?« Tani klang bissig.
    »Aber das ist nicht Maat! Wir dürfen nicht einfach wegsehen, sonst zürnen sie uns. Außerdem könnte es ja sein, dass er sich dankbar zeigt und dafür sorgt, dass wir hier in der Schenke unbehelligt bleiben. Vielleicht … vielleicht kann er helfen, dass ich meinen Vater sehe.« Nein, sogleich schüttelte sie den Kopf, das war wirklich absurd. Dieser Mann war sicher nicht willens oder imstande, für ihren Vater und Nefertem etwas zu tun, auch wenn sein Reif und seine Rüstung vermuten ließen, dass er kein niedriger Fußkämpfer war. Merit entfernte seinen Schwertgurt und fand an den Seiten der Brustpanzerung Schnüre; daran zog sie, wenngleich sie das Gefühl hatte, neben sich selbst zu kauern, sich zuzuschauen und zu fragen, warum bei allen Göttern sie das tat. Sie musste seinen Kopf hochhalten, damit sie das mit kleinen, aneinandergereihten Bronzeplättchen besetzte Leinenhemd darüber hinweg abstreifen konnte. Darunter trug er ein weiteres, ärmelloses Hemd, das eng an seinem Oberkörper anlag. Der einstmals weiße Stoff war auf der Brust in Blut getränkt. Oberhalb des Herzens ragte der Rest des Pfeilschaftes heraus.
    »Wir bräuchten heißes Wasser«, überlegte sie.
    »Wie sollen wir denn jetzt so rasch Wasser heiß machen?«, jammerte Tani.
    Merit sprang auf und rannte in die Vorratskammer. Sie nahm einen verschlossenen Weinkrug und aus derWäschetruhe ein sauberes Laken. Über den Assyrer gebeugt, riss sie es in Streifen. Vielleicht war das falsch, aber sie meinte sich aus den alten Schriften, in denen von Schlachten und verwundeten Kriegern die Rede war, an solche Tätigkeiten zu erinnern.
    Sie nahm den Schaft zwischen zwei Finger und zog. Er entglitt ihr. So würde es nicht gelingen. Noch einmal rannte sie in die Kammer, kramte in der Unordnung und fand zwischen verbeulten Löffeln und Schöpfkellen eine Zange.
    »Sobek, Sobek, hilf«, murmelte sie, und bevor die Vernunft ihr sagte, schleunigst die Finger davon zu lassen, setzte sie die Zange an, umfasste sie mit beiden Händen und riss sie hoch.
    Der Assyrer warf mit einem gurgelnden Aufschrei den Kopf in den Nacken. Doch er erwachte nicht. Merit schluckte, starrte auf die blutige Pfeilspitze und warf sie mitsamt der Zange beiseite. Die Wunde begann zu bluten. Merit zerschnitt das Leinenhemd, erweiterte den Riss, indem sie daran zerrte, entleerte den ganzen Weinkrug auf seine Brust und beeilte sich, die Streifen darum zu wickeln. Dazu musste sie die Hände unter seinen riesigen Leib schieben. Es ängstigte sie, ihm so nahe zu sein. Tani half ihr, indem sie die Knie unter seine Schultern schob und ein Kissen aus zusammengefalteten Streifen auf der Wunde festhielt.
    Endlich war es geschafft. Beide rutschten sie von ihm fort und betrachteten ihr Werk.
    »Und jetzt lassen wir ihn endlich in Ruhe?«, fragte Tani flehentlich.
    »Gleich. Erst dies noch.« Merit kniete neben seinem Kopf, bettete ihn an ihrem Schoß und setzte den Wasserkrug an

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