Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
Melancholie verschreiben? Könnte nicht irgendetwas helfen, egal wie haarsträubend es klingen mag?«
Kev schüttelte den Kopf, richtete den Blick auf den Kamin. »Sie würden sie allein lassen. Die Roma fürchten sich vor übertriebener Trauer.«
»Warum?«
»Es verleitet die Toten, zurückzukommen und die Lebenden heimzusuchen.«
Alle vier schwiegen daraufhin und lauschten dem Zischen und Knacken des Feuers.
»Sie will bei Vater sein«, sagte Win schließlich. Ihr Ton war nachdenklich. »Wohin auch immer er gegangen sein mag. Ihr Herz ist gebrochen. Ich wünschte, es wäre nicht so. Ich würde ihr mein Leben, mein Herz geben, wäre das möglich. Ich wünschte …« Sie brach mitten im Satz ab, als sich Kevs Hand um ihren Arm schloss.
Völlig unbewusst hatte er nach ihr gegriffen, aber Wins Worte hatten ihn auf eine eigentümliche Art bewegt. »Sag das nicht«, murmelte er. Er hatte sich nicht genug von seiner Vergangenheit als Zigeuner gelöst, um die Macht der Worte vergessen zu haben, mit der sich das Schicksal herausfordern ließ.
»Warum nicht?«, flüsterte sie.
Weil es schon längst nicht mehr ihr gehörte.
Dein Herz ist mein , dachte er grimmig. Es gehört mir .
Und obwohl er die Worte nicht laut ausgesprochen
hatte, schien es, als habe Win sie gehört. Sie riss die Augen auf, und eine feurige Röte, die aus starken Gefühlen geboren war, schoss ihr ins Gesicht. Und genau dort, in der Gegenwart ihres Bruders und ihrer Schwestern, senkte sie den Kopf und drückte ihre Wange gegen Kevs Handrücken.
Kev sehnte sich danach, sie zu trösten, sie mit Küssen zu bedecken, mit seiner Stärke zu beschützen. Stattdessen gab er ihren Arm behutsam frei und warf Amelia und Leo einen wachsamen Blick zu. Die eine hatte einen Scheit Holz aus dem Korb neben dem Kamin geholt und schürte das Feuer. Der andere beobachtete Win eindringlich.
Knapp sechs Monate nach dem Tod ihres Gatten wurde Mrs Hathaway neben ihm zu ihrer letzten Ruhe gebettet. Und bevor die Geschwister verstanden, dass sie mit einer derart grausamen Schnelligkeit zu Waisen geworden waren, ereilte sie die dritte Tragödie.
»Merripen.« Win stand auf der Türschwelle des Landhauses und trat nur zögerlich ein. Ein solch sonderbarer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht, dass Kev augenblicklich aufsprang.
Er war todmüde und schmutzig, nachdem er von einem anstrengenden Arbeitstag zurückgekehrt war, im Laufe dessen er von früh bis spät beim Bau des Nachbarhauses mitgeholfen und die Zäune auf der Weide repariert hatte. Er hatte sich eben erst mit Amelia am Tisch niedergelassen, die alles daran setzte, mit einem in Terpentin getränkten Tuch Flecken aus Poppys Kleidern zu entfernen. Der scharfe Geruch der Chemikalie brannte Kev in der Nase, als er
tief einatmete. Wins Ausdruck bedeutete ihm, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.
»Ich habe heute den Tag mit Laura und Leo verbracht«, sagte Win. »Laura hat sich auf einmal unwohl gefühlt … Ihr Hals schmerzte, ebenso wie ihr Kopf, und deshalb sind wir auf der Stelle nach Hause gegangen, wo ihre Familie nach dem Arzt rief. Er meinte, sie habe Scharlachfieber.«
»O Gott!«, hauchte Amelia, und jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. Die drei waren starr vor Entsetzen.
Es gab kein anderes Fieber, das so heftig wütete oder sich ebenso schnell ausbreitete wie Scharlach. Ein leuchtend roter Ausschlag befiel den ganzen Körper, der sich anschließend schuppte. Die Zunge war zunächst weiß belegt und glänzte später in einem feurigen Erdbeerrot. Und das Fieber brannte und fraß sich durch den Körper, bis letztlich die Organe versagten. Die Krankheit lauerte in der ausgeatmeten Luft, in Haarlocken, selbst auf der Haut. Der einzige Weg, andere zu schützen, lag darin, den Patienten völlig zu isolieren.
»War er sicher?«, fragte Kev mit beherrschter Stimme.
»Ja, er sagte, die Symptome seien unverkennbar. Und er sagte …«
Win brach ab, als Kev auf sie zueilte. » Nein , Merripen!« Und sie hielt ihre schlanke weiße Hand mit einer solch verzweifelten Entschlossenheit hoch, dass er wie angewurzelt stehen blieb. »Niemand darf in meine Nähe kommen. Leo ist bei Laura. Er will sie nicht allein lassen. Sie meinten, es sei in Ordnung, dass er bliebe, und … du musst Poppy und Beatrix
und Amelia zu unseren Cousins nach Hedgerley bringen. Es wird ihnen nicht gefallen, aber sie werden sie aufnehmen, und …«
»Ich werde nirgendwo hingehen«, sagte Amelia ruhig, obwohl sie sichtlich zitterte. »Wenn
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