Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
Win die Kehle zu.
»Heute Nacht« bedeutete, dass es andere Nächte gegeben haben musste, an denen er eine Frau hatte kommen lassen. Und obwohl Win weltfremd war, wusste sie doch, was geschah, wenn nach einer Frau geschickt wurde, und ein Mann sie in seinem Hotelzimmer empfing.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte nicht das Recht, Merripen zu verurteilen, wenn es ihm nach einer Frau gelüstete. Er gehörte ihr nicht. Sie hatten sich kein Versprechen gegeben oder eine Übereinkunft getroffen. Er schuldete ihr keine Treue.
Aber sie kam nicht umhin, sich zu fragen … Wie viele Frauen? In wie vielen Nächten?
»Spielt keine Rolle«, sagte er schroff. »Ich kann dich gebrauchen. Komm herein.« Eine große Hand wurde ausgestreckt, packte Win an der Schulter und
zog sie über die Türschwelle, ohne dass sie Gelegenheit hatte, zu protestieren.
Ich kann dich gebrauchen?
Wut und Entrüstung stiegen in ihr auf. Sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was sie nun tun oder sagen sollte. Irgendwie erschien es ihr nicht angebracht, einfach die Kapuze zurückzuschieben und »Überraschung!« zu rufen.
Merripen hielt sie fälschlicherweise für eine Prostituierte, und jetzt verwandelte sich das Wiedersehen, von dem sie seit so langer Zeit geträumt hatte, in eine Farce.
»Vermutlich wurdest du darüber aufgeklärt, dass ich Rom bin«, sagte er.
Ihr Gesicht war immer noch von der Kapuze verdeckt. Win nickte.
»Und das stört dich nicht?«
Win schüttelte kurz den Kopf.
Ein leises, trockenes Lachen, das überhaupt nicht nach Merripen klang, erscholl an ihrem Ohr. »Natürlich nicht. Solange die Bezahlung stimmt.«
Achtlos ließ er sie für einen Moment dort stehen, schritt zum Fenster und schloss die schweren Samtvorhänge gegen die rauchverhangenen Lichter Londons. Eine einzige kleine Lampe hüllte das Zimmer in ein düsteres Halbdunkel.
Win musterte ihn verstohlen. Es war Merripen … aber wie Amelia gesagt hatte, so fielen auch ihr die Veränderungen auf. Er hatte an Gewicht verloren, war riesig, schmal, beinahe knochig. Der Ausschnitt seines Hemdes stand offen, gab den Blick auf seine braune, unbehaarte Brust frei, die glänzenden Umrisse seiner starken Muskeln. Zuerst glaubte sie,
es sei eine optische Täuschung, als sie die mächtige Muskulatur an seinen Schultern und Oberarmen sah. Gütiger Himmel, wie stark er geworden war!
Doch nichts von all dem faszinierte und erschreckte sie so sehr wie sein Gesicht. Er war immer noch teuflisch gut aussehend, mit schwarzen Augen und dem verführerischen Mund, den strengen Linien seiner Nase und des Kinns, den hohen Wangenknochen. Es gab allerdings neue Furchen, tief und verbittert, die von der Nase zum Mund verliefen, sowie der Hauch eines dauerhaften Stirnrunzelns zwischen seinen dichten Augenbrauen. Am verstörendsten war jedoch der Anflug von Grausamkeit in seinem Ausdruck. Er schien zu Dingen fähig zu sein, zu denen ihr Merripen niemals imstande gewesen wäre.
Kev , dachte sie in verzweifelter Verwunderung, was ist mit dir geschehen?
Er kam auf sie zu. Win hatte seine katzenhaften Bewegungen vergessen, die atemberaubende Lebenskraft, die von ihm ausging und die Luft zum Knistern brachte. Hastig senkte sie den Kopf.
Merripen streckte den Arm nach ihr aus und spürte, wie sie zusammenzuckte. Außerdem war ihm das Zittern nicht entgangen, das ihren schmalen Körper erfasst hatte, denn er sagte in mitleidlosem Ton: »Du bist neu in dem Geschäft.«
Sie brachte ein heiseres Krächzen zustande: »Ja.«
»Ich werde dir nicht wehtun.« Merripen führte sie zum Tisch. Während sie nun mit dem Rücken zu ihm dastand, glitt seine Hand zu der Verschnürung ihres Umhangs. Das schwere Kleidungsstück fiel zu Boden, und Wins blondes Haar kam zum Vorschein,
das sich aus den Kämmen gelöst hatte. Sie hörte, wie ihm der Atem stockte. Ein Moment der Stille folgte. Win schloss die Augen, als Merripens Finger an ihren Seiten herabfuhren. Ihr Körper war voller, kurviger, muskulös an Stellen, an denen sie früher schwach gewesen war. Sie trug kein Korsett, obwohl eine anständige Frau niemals ohne eines aus dem Haus gegangen wäre. Es gab nur eine Schlussfolgerung, die ein Mann aus diesem Umstand ziehen konnte.
Als er sich bückte, um den Umhang auf den Tisch zu legen, spürte Win, wie sein kräftiger Körper ihren berührte. Sein Geruch, sauber und verlockend und männlich, überschwemmte sie mit einer Flut an Erinnerungen. Er roch nach Natur, nach trockenen Blättern und
Weitere Kostenlose Bücher