Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
rankten sich so viele Gerüchte, dass sich nicht einmal zweifelsfrei sagen ließ, ob er Brite oder Amerikaner war. Sicher war nur, dass er lange in Amerika gewohnt hatte und nach England gekommen war, um ein Hotel zu errichten, das die verschwenderische Opulenz Europas mit den besten Erfindungen Amerikas vereinte.
Das Rutledge war das erste Hotel in London, in dem jedes Schlafzimmer mit einem eigenen Bad ausgestattet war. Und es gab die Vorzüge von Essensaufzügen, Einbauschränken in den Zimmern und privaten Versammlungsräumen mit lichtdurchfluteten Glasdecken. In dem Hotel gab es einen Speisesaal, der angeblich der schönste in ganz England war, mit so vielen Kronleuchtern, dass die Decke wegen des Gewichts verstärkt werden musste.
Die beiden Geschwister erreichten nach kurzer Zeit die Hathaway-Suite, und Leo klopfte behutsam.
Leise Bewegungen waren im Innern zu vernehmen. Die Tür wurde von einer jungen blonden Zofe geöffnet, die sie freundlich ansah. »Wie kann ich Euch dienen, Sir?«, fragte sie Leo.
»Wir wünschen Mr und Mrs Rohan zu sprechen.«
»Entschuldigt vielmals, aber die Herrschaften haben sich bereits zurückgezogen.«
Es ist schon sehr spät, dachte Win ernüchtert. »Wir sollten auf unsere Zimmer gehen und ihnen ihre wohlverdiente Ruhe gönnen«, sagte sie zu Leo. »Wir kommen morgen früh wieder.«
Leo starrte die Zofe mit einem verführerischen Lächeln an und fragte mit seiner weichen, wohlklingenden Stimme: »Wie ist dein Name, mein Kind?«
Sie riss die braunen Augen auf, und eine leichte Röte kroch ihr in die Wangen. »Abigail, Sir.«
»Abigail«, wiederholte er. »Richte Mrs Rohan aus, dass ihre Schwester hier ist und sie sehen möchte.«
»Ja, Sir.« Die Zofe kicherte und trat von der Tür weg.
Win bedachte ihren Bruder mit einem schrägen Blick, während er ihr aus dem Umhang half. »Deine Art mit Frauen umzugehen, überrascht mich jedes Mal aufs Neue.«
»Die meisten Frauen fühlen sich wie magisch von Wüstlingen angezogen«, sagte er reumütig. »Ich sollte diese Schwachstelle wahrlich nicht ausnutzen.«
Jemand betrat den Salon. Leo machte Amelias vertraute Gestalt aus, die ein blaues Hauskleid trug und von Cam Rohan begleitet wurde, der erfrischend zerzaust aussah in einem offenen Hemd und eleganten Hosen.
Amelia, deren blaue Augen so rund wie Unterteller
waren, hielt beim Anblick ihrer Geschwister mitten in der Bewegung inne. Eine weiße Hand flog an ihre Kehle. »Seid das wirklich ihr?«, fragte sie verunsichert.
Win versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht, da ihre Lippen in dem Gefühlschaos zu zittern begannen. Sie malte sich aus, wie überrascht Amelia erst sein musste. Immerhin war Win bei ihrem letzten Zusammensein eine gebrechliche Invalide gewesen. »Ich bin zu Hause«, sagte sie mit einem leichten Beben in der Stimme.
»O Win! Ich habe geträumt … Ich habe so gehofft …« Amelia stürzte auf sie zu, und die beiden Schwestern umarmten sich, fest und innig.
Win schloss seufzend die Augen, da sie nun endlich das Gefühl hatte, zu Hause angekommen zu sein. Meine Schwester! Sie genoss die weiche Berührung von Amelias Armen.
»Du bist so wunderschön«, sagte Amelia und trat einen Schritt zurück, um Wins feuchte Wangen mit den Händen zu umschließen. »So gesund und stark. Oh, sieh dir diese Göttin an! Cam, sieh sie dir nur an!«
»Du siehst gut aus«, sagte Rohan mit leuchtenden Augen. »Besser als je zuvor, kleine Schwester.« Behutsam umarmte er sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Willkommen zurück.«
»Wo sind Poppy und Beatrix?«, wollte Win wissen und krallte sich an Amelias Hand fest.
»Sie sind bereits zu Bett gegangen, aber ich werde sie wecken.«
»Nein, lass sie schlafen«, entgegnete Win rasch. »Wir werden auch nicht lange bleiben – wir sind beide
erschöpft -, aber ich musste dich einfach sofort sehen.«
Amelias Blick wanderte zu Leo, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Win hörte, wie ihre Schwester erstickt aufseufzte, als sie die Veränderungen an ihm wahrnahm.
»Das ist mein alter Leo«, sagte Amelia leise.
Win war überrascht, ein kaum merkliches Aufflackern in Leos süffisantem Gesichtsausdruck zu bemerken – eine Art jungenhafte Verletzlichkeit, als schämte er sich für seine Freude über das Wiedersehen. »Nun wirst du aus einem völlig anderen Grund weinen«, sagte er zu Amelia. »Denn wie du siehst, bin ich ebenfalls zurückgekehrt.«
Sie flog auf ihn zu und wurde mit einer festen Umarmung
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