Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
säuberlich schneiden ließ, der gleiche lange, athletische Körperbau, auch wenn Cam dünner und geschmeidiger, Merripen hingegen breiter war und die muskulöse Gestalt eines Boxers besaß.
Der größte Unterschied zwischen den beiden lag jedoch nicht in ihrem äußeren Erscheinungsbild, sondern in der Art, wie sie der Welt gegenübertraten. Cam mit vergnügter Toleranz, Charme und gewitzter Zuversicht. Merripen mit seinem zerrütteten Stolz, seiner brennenden Leidenschaft und seinen nicht zu bändigenden Gefühlen, die er so verzweifelt zu verbergen suchte.
Oh, wie sehr sie ihn begehrte! Aber es würde nicht leicht sein, ihn für sich zu gewinnen, wenn ihr das denn je gelingen sollte. Win kam es vor, als wolle sie ein wildes Tier zu sich locken: das endlose Annähern und sich Zurückziehen, der Hunger und das Bedürfnis nach Nähe, das sich mit Angst mischte.
Sie wollte ihn sogar noch mehr, als sie ihn hier inmitten der glitzernden Menschenmenge sah, seine distanzierte und kraftstrotzende Gestalt, die in traditionelles Weiß und Schwarz gekleidet war. Merripen hielt sich selbst nicht für minderwertiger als die Menschen auf diesem Ball, aber er war sich durchaus bewusst, dass er nicht zu ihnen gehörte. Er kannte ihre Wertvorstellungen, obwohl er nicht immer mit ihnen übereinstimmte. Doch er hatte gelernt, sich in der Gadjo -Welt zurechtzufinden – er war die Sorte Mann, die sich allen neuen Lebenslagen mit spielender Leichtigkeit anpasste. Immerhin konnte nicht jeder Mann von sich behaupten, dachte Win in stiller Belustigung, ein Pferd zureiten, eine Steinmauer mit bloßen Händen erbauen, das griechische Alphabet aufsagen und die philosophischen Vorzüge von Empirismus und Rationalismus diskutieren zu können. Ganz zu schweigen von seinem Talent, ein Anwesen wiederaufzubauen
und zu führen, als sei er zu dieser Aufgabe geboren.
Ein undurchdringliches Geflecht an Geheimnissen rankte sich um Kev Merripen. Win war besessen von dem quälenden Gedanken, wie es sich anfühlen mochte, hinter seine Fassade zu gelangen und das außergewöhnliche Herz zu erreichen, das er so streng bewachte.
Schwermut legte sich auf Wins Seele, als sie den Blick über die wunderschöne Einrichtung des Anwesens und die vergnügten Gäste schweifen ließ, während die Musik unaufdringlich im Hintergrund spielte. So viel freudige Heiterkeit war verlockend, und dennoch wollte Win nichts weiter, als mit dem unnahbarsten Mann in diesem Raum allein zu sein.
Allerdings hatte sie sich fest vorgenommen, nicht das Mauerblümchen zu spielen. Sie würde tanzen und lachen und all die Dinge tun, die sie sich während der vergangenen Jahre auf dem Krankenbett in den schönsten Farben ausgemalt hatte. Und falls es Merripen missfallen oder ihn gar eifersüchtig machen sollte, umso besser.
Nachdem Win ihren Umhang abgelegt hatte, gesellte sie sich zu ihren Schwestern. Sie alle waren in zartem Satinstoff gekleidet, Poppy in Rosa, Beatrix in Blau, Amelia in Lavendel und sie selbst in Weiß. Ihr Kleid war unbequem, was Poppy mit einem Lachen abgetan und behauptet hatte, es sei ein gutes Zeichen, da bequeme Kleider unter gar keinen Umständen modisch sein konnten. Das Oberteil fühlte sich zu knapp an, der Ausschnitt war tief und gerade, die Ärmel kurz und eng anliegend. Und von der Hüfte abwärts war es zu schwer, mit dreilagigen,
festen Unterröcken, die am Saum auch noch mit Volants besetzt waren. Aber die Quelle ihres Leidens war das Korsett, welches sie schon so lange nicht mehr getragen hatte, dass sie selbst die leichteste Einengung als schmerzlich empfand. Obwohl es nur locker geschnürt war, drückte das Korsett ihren Oberkörper ein und presste ihre Brüste unnatürlich nach oben. Diese Aufmachung schien ihr wenig sittsam zu sein. Und dennoch wurde es als un schicklich erachtet, wenn eine Frau kein Mieder trug.
Als sie jedoch Merripens Reaktion bemerkte, waren die Unannehmlichkeiten wie weggewischt. Bei Wins Anblick in dem tief ausgeschnittenen Ballkleid wurde Kevs Gesicht völlig ausdruckslos, und sein Blick wanderte von den eleganten Satinpantoffeln, die unter dem Saum hervorlugten, hinauf zu ihrem Gesicht. Unverschämt lange starrte er auf ihre Brüste, die sich keck in die Höhe reckten. Als sich seine Augen schließlich mit ihren verwoben, funkelte loderndes Feuer in ihnen. Win erzitterte, und ein Schauder rann unter ihrem Korsett hindurch. Nur mit größter Mühe gelang es ihr, den Blick von Kev abzuwenden.
Die Hathaways
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