Glut der Verheißung - Kleypas, L: Glut der Verheißung - Seduce me at sunrise
Familie kam«, sagte er mit belegter Stimme, »war das meine einzige Daseinsberechtigung. Ich habe gekämpft. Menschen verletzt. Ich war … ein Ungeheuer.« Als er in Wins Augen blickte, sah er nichts weiter als echte Besorgnis.
»Erzähl mir davon«, flüsterte sie.
Er schüttelte den Kopf. Ein Schauder jagte ihm den Rücken hinab.
Ihre Hand glitt an seinen Nacken und zog langsam seinen Kopf herab. »Erzähl mir davon«, wiederholte sie.
Kev war verloren, unfähig, irgendetwas vor ihr zu verheimlichen. Und er wusste, was er ihr nun offenbarte, würde sie abstoßen, aber dennoch wollte er sie in jedes noch so entsetzliche Detail seiner Vergangenheit einweihen.
Schonungslos vertraute er ihr alles an, versuchte ihr zu verdeutlichen, welch abstoßender Mensch er gewesen war – und immer noch war. Er erzählte ihr von den Jungen, die er gnadenlos verprügelt hatte und die womöglich anschließend gestorben waren. Er erzählte ihr, wie er gleich einem wilden Tier gehaust, Abfall gegessen, gestohlen und mit einer Wut in sich gelebt hatte, die ihn von innen heraus aufgefressen hatte. Ein Raufbold, ein Dieb, ein Bettler war er gewesen. Er gestand ihr Grausamkeiten und Demütigungen, die er für immer in den Tiefen seiner Seele hatte begraben wollen.
Doch nun, da die Pforten geöffnet waren, sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihm heraus. Und er war entsetzt, als er erkannte, dass er jegliche Kontrolle über sich verloren hatte, dass eine leichte Berührung oder ein sanftes Murmeln von Win genügte, damit er seine schrecklichsten Sünden wie ein todgeweihter Verbrecher vor dem Priester gestand.
»Wie konnte ich dich nur mit diesen Händen berühren?«, fragte er erschüttert. »Wie konntest du es ertragen? Gütiger Himmel, hättest du von all den Dingen gewusst, die ich getan …«
»Ich liebe deine Hände«, flüsterte sie.
»Ich bin nicht gut genug für dich. Aber das ist niemand. Und für die meisten Männer, seien sie gut oder schlecht, gibt es Grenzen, die sie nicht überschreiten würden, selbst für jemanden, den sie lieben. Ich habe keine. Keinen Gott, keine Moral, keinen Glauben. Außer dir. Du bist meine Religion. Ich würde alles tun, worum du mich bittest. Ich würde kämpfen, stehlen, töten. Ich würde …«
»Schsch. Gütiger Himmel!« Sie klang atemlos.
»Es gibt keinen Grund, sämtliche Gebote Gottes zu brechen, Kev.«
»Du verstehst nicht«, sagte er und hob den Kopf, um sie anzusehen. »Wenn du das, was ich dir erzählt habe, glauben solltest …«
»Ich verstehe sehr gut.« Ihr Gesicht war das eines Engels, weich und mitleidsvoll. »Und ich glaube dir all die Dinge, die du mir erzählt hast … aber ich stimme nicht mit den Schlussfolgerungen überein, die du daraus gezogen hast.« Sie hob die Hände und legte sie sanft auf seine Wangen. »Du bist ein guter Mann, ein liebender Mann. Der Rom Baro hat versucht, dich zu töten, doch das ist ihm nicht gelungen. Weil du stark bist. Und ein großes Herz besitzt.«
Sie lehnte sich in die Kissen zurück und zog ihn mit sich. »Beruhige dich, Kev«, flüsterte sie. »Dein Onkel war ein böser Mensch, aber was er getan hat, muss mit ihm begraben werden. ›Lasst die Toten die Toten begraben‹ – kennst du diese Redewendung?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das bedeutet, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und nur in die Zukunft zu blicken. Erst dann kann man einen neuen Weg einschlagen. Ein neues Leben beginnen. Eine christliche Redewendung, die jedoch auch für Roma Sinn ergeben sollte.«
Und sie ergab mehr Sinn, als Win womöglich gedacht hätte. Die Roma waren sehr abergläubisch, was den Tod anbelangte, und zerstörten das Hab und Gut aller Verstorbenen und sprachen so selten wie möglich von ihnen. Dadurch sollten die Toten abgehalten werden, als unglückliche Geister zurückzukehren
und auf Erden zu wandeln. Lasst die Toten die Toten begraben … doch er war nicht sicher, ob ihm das gelänge.
»Es ist schwer, die Vergangenheit loszulassen«, sagte er mit belegter Stimme. »Zu vergessen.«
»Ja.« Ihre Arme schlossen sich fester um ihn. »Aber wir werden deinen Kopf mit viel angenehmeren Dingen füllen.«
Kev war lange Zeit ruhig, drückte nur das Ohr an Wins Brust, lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag.
»Schon bei unserem ersten Treffen wusste ich, was du mir bedeuten würdest«, murmelte Win schließlich. »Der wilde, wütende Junge, der du damals warst. Ich habe dich sofort geliebt. Du hast es ebenfalls gespürt, nicht wahr?«
Er
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