Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
mich? Wie könnten Sie, wo wir uns doch noch nie zuvor begegnet sind? Aber vielleicht sagt Ihnen ja der Name eines meiner Vorfahren etwas mehr, Mister Delany . Domenicus.«
    Einen unendlichen Augenblick schaute Andrej ihn einfach nur an. Domenicus ...? »Domenicus? Vater Domenicus?«
    »Er war ein heiliger Mann«, bestätigte Marcus. »Ein Mann der Kirche und des Glaubens. Erinnern Sie sich jetzt, Mister Del a ny ?«
    »Ich erinnere mich an einen Mann dieses Namens«, antwo r tete Andrej verblüfft. »Aber er war kein heiliger Mann, Inspe k tor. Ich weiß nicht, was man Ihnen erzählt hat, aber der Domenicus, den ich gekannt habe, war ein gnadenloser Mann. Ein Fanatiker und Mörder, dem das, was er für seinen Glauben hielt, mehr wert war als Menschenleben und Mitgefühl.«
    »Ja, ich dachte mir, dass Sie so etwas sagen würden«, erw i derte Marcus kalt. »Und vielleicht glauben Sie ja sogar daran.« Er deutete ein Schulterzucken an. »Wer weiß, vielleicht ist es s o gar die Wahrheit.«
    »Und trotzdem stehe ich jetzt hier, und ...«
    »Aber er war nicht nur ein Mann der Kirche, Mister Del a ny «, fuhr Marcus fort, noch immer im gleichen, scheinbar r u higen, aber nur noch mit allerletzter Kraft beherrschten Ton. »Er war auch ein Bruder und ein Sohn. Unsere Familie war a n gesehen, bevor Sie kamen, Mister Delany . Nachdem Sie ihn getötet hatten, war auch ihr Ruf beschädigt, unwiederbringlich. Unsere gesamte Familie wurde exkommuniziert, und Domenicus' Vater und Brüder mit dem Kirchenbann belegt. Über Generationen hinweg lebten sie in Armut und Angst, mussten von dem vegetieren, was mildt ä tigere Menschen als Sie ihnen geschenkt haben, und flüchten und sich verstecken wie die Tiere. Sie haben nicht nur ein Leben ausgelöscht, so n dern das unserer gesamten Linie. Mein e i gener Vater war der Erste, der wieder ein auch nur einigerm a ßen menschenwürdiges Leben führen konnte, nachdem er seine Heimat verlassen hatte und hierher nach England gekommen war, unter falschem N a men und mit einer falschen Identität. Sein ganzes Leben hat er in der Angst verbracht, eines Tages erkannt zu werden. Und selbst er fristete ein erbärmliches D a sein und hat sich am Ende zu Tode geschuftet, nur um mir eine halbwegs vernünftige Ausbildung zu ermöglichen und für den Traum zu leben, ich könnte es besser haben als er und die vor ihm.« Er schüttelte wieder den Kopf, als wäre ihm noch etwas eingefallen, was nicht auszusprechen er sich im letzten Moment entschieden hatte. Als er weitersprach, klang seine Stimme trauriger, hatte aber immer noch jenen eisernen, entschlossenen Unterton, als wäre er durch nichts von seinem Ziel abzubringen. »Nein, Sie erinnern sich nicht, Mister Delany . Aber ich dafür umso mehr Unsere Familie hat Ihren Namen niemals vergessen, nicht in all den Jahren, nicht bei allem, was geschehen ist. Wir wussten immer, dass uns das Schicksal eines Tages wieder zusamme n führen würde. Gottes Wege sind manchmal verschlu n gen und so sonderbar, dass wir Menschen sie nicht mehr verstehen. Aber am Ende ist er doch ein gerechter Gott.«
    Jetzt, dachte Andrej, klang er tatsächlich fast so wie der Domenicus, an den er sich erinnerte. »Das glauben Sie wirklich, habe ich recht?«
    »Täte ich es nicht«, antwortete Marcus, »hätte unsere g e samte Familie in all den ungezählten Jahren es nicht getan, Mister Delany , wie hätten wir da weiterleben können? Wir sind nur Gottes Werkzeuge, die am Ende das tun, was ihre Aufgabe ist.«
    Andrej erwiderte nichts darauf, sondern starrte ihn nur mit einer Mischung aus Unglauben und Erschütterung an. Es gab nichts, das er hätte sagen können, zumindest nichts, das Sinn ergeben hätte. Domenicus? Natürlich hatte er ihn nicht verge s sen - wie könnte er das? -, aber es war so lange her, dass er letzten Endes doch zu kaum mehr als einem Namen aus seiner Vergangenheit verblasst war - ein Name und eine Erinnerung, die längst kein Gesicht mehr hatten. Es hätte so viel gegeben, was er hätte s a gen können.
    Das Leid, von dem Marcus ihm erzählt hatte - und er glaubte ihm durchaus, dass es so gewesen war, und empfand einen schwachen, obgleich widersinnigen Anflug von Schuld -, war auch das seine gewesen. Was Domenicus und seine Begleiter - allen voran aber eben Domenicus - getan hatten, das hatte auch über sein und die Leben so vieler anderer unerträgliches Leid und endlosen Kummer gebracht. Nun zu erfahren, dass Domenicus damit auch Unglück über seine eigene

Weitere Kostenlose Bücher