Glut und Asche
rings um den Tower, damit die Flammen nicht übergreifen«, sagte Meruhe. »Das hätten sie schon viel früher tun sollen.«
Eine weitere, noch gewaltigere Explosion schnitt ihr das Wort ab, und eine zweite Feuersäule stieg in die Höhe und b e gann allmählich zu verblassen.
Abu Dun wartete, bis das dumpfe Grollen verklungen war. »Nur damit ich das richtig verstehe«, sagte er dann. »Sie sprengen die Häuser des einfachen Volkes, um ein altes G e fängnis zu retten? Und das hätten sie deiner Meinung nach eher tun sollen?«
»Der Tower of London ist weit mehr als nur ein altes G e fängnis, mein Freund«, sagte Meruhe sanft. »Und wenn es dir ein Trost ist: Die Leute, die dort leben, gehören nicht unbedingt zum ganz einfachen Volk. Und es ist der einzige Weg, übe r haupt noch etwas von dieser Stadt zu retten.«
»Eine Feuerschneise«, vermutete Andrej.
»Falls es noch nicht zu spät ist«, sagte Meruhe. »Ja.« Sie wedelte ungeduldig mit der Hand. »Weiter.«
»So viel zu deiner versprochenen Erklärung«, maulte Abu Dun, setzte sich aber trotzdem gehorsam in Bewegung, als Meruhe weiterging.
»Ich kann mich nicht erinnern, irgendetwas versprochen zu haben«, sagte Meruhe. »Aber du wirst deine Erklärung b e kommen, keine Sorge ... ich bin nur nicht sicher, ob sie dir g e fällt.«
Sie setzten ihren Weg schweigend fort, auch wenn Andrej den Umstand einfach nicht vergessen konnte, dass dieses Schweigen von höchst einseitiger Art war Er fragte sich, ob Meruhe wohl ihr Wort hielt, tatsächlich nicht weiter in seinen und Abu Duns Gedanken zu lesen, und er fragte sich, ob sie das übe r haupt konnte - nach ihrer Bemerkung von vorhin war er nicht mehr ganz sicher So wenig, wie er sicher war, ob sie ta t sächlich um ihre Fähigkeit zu beneiden war, in den Gedanken anderer lesen zu können wie in einem offenen Buch. Während er diesen Gedanken dachte, hielt er sie unauffällig, aber auch sehr au f merksam im Auge, doch ihr Gesicht zeigte nicht die geringste Regung. Fast augenblicklich wurde er sich seines Ir r tums b e wusst. Wie hätte sie sich auch verraten sollen, hatte er sie doch mit seinen eigenen Gedanken selbst gewarnt?
Er sah ein, dass diese Überlegungen zu nichts führen würden (außer zu Kopfschmerzen), und schüttelte sie mit einer bewus s ten Anstrengung ab. Sie hatte versprochen, ihm alles zu erkl ä ren, was er wissen musste, und zumindest im Moment noch glaubte er ihr.
Darüber hinaus nahm die Aufgabe, einen Weg durch die mit Trümmern und flüchtenden Menschen vollen Straßen zu finden, bald immer mehr seine Aufmerksamkeit in Anspruch. War der Weg auf dem ersten Stück beinahe leicht und schon fast g e spenstisch menschenleer gewesen, so stieg die Anzahl der in Panik flüchtenden Männer, Frauen und Kinder bald im gleichen Maße, in dem sie sich ihrem Ziel näherten - dem Themseufer und damit der gewaltigen London Bridge und dem Star Inn, von dem Meruhe gesagt hatte, dass sie sich dort mit den and e ren treffen würde - wer immer diese anderen auch waren. Der geheimnisvolle Schutzzauber schien seine Wirkung allmählich zu verlieren, oder es waren einfach zu viele, denen sie auswe i chen oder durch die sie sich auch schon einmal gewaltsam e i nen Weg bahnen mussten. Sie wurden jetzt immer öfter ang e rempelt, rüde zur Seite gestoßen oder einfach von der Menge voneinander getrennt, und wäre Abu Duns mächtige Gestalt nicht gewesen, der ihnen mit seinem breiten Schultern und se i ner schieren Körpermasse einen Weg durch die Menge bahnte, so hätten sie sich vermutlich binnen weniger Minuten aus den Augen verloren.
Vor allem Andrej hatte Mühe, mit den beiden ungleichen Nubiern mitzuhalten. Die sonderbare Schwäche, die von ihm Besitz ergriffen hatte, hatte kein bisschen nachgelassen, so n dern schien im Gegenteil immer noch schlimmer zu werden. Es fiel ihm nicht unbedingt schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und doch fehlte seinen Bewegungen die gewohnte M ü helosigkeit, sodass es bald einer bewussten Anstrengung b e durfte, um überhaupt noch weiterzugehen. Seine Glieder füh l ten sich auf eine sonderbare, erschreckende Weise träge an, und mehr als einer der Rippe n stöße, die er sich bei dem Versuch einhandelte, mit Abu Dun und Meruhe mitzuhalten, hätte ihn vermutlich zu Boden g e schleudert, wäre er nicht zugleich so hoffnungslos in der Me n schenmenge eingekeilt gewesen, dass es schier unmöglich war zu stürzen.
Wenigstens hoffte Andrej das. Er sah mehr als einen
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