Glut und Asche
Wort...!«, drohte Andrej.
»Aber Andrej!«, sagte Abu Dun mit gespielter Empörung. »Du kennst mich doch! Ich würde doch niemals etwas sagen, was dich verletzt!«
»Aber denken«, sagte Meruhe lächelnd. »Interessiert dich, was?«
Abu Dun funkelte sie an, und Meruhe setzte wieder ihr süßes Lächeln auf. »Warum nicht? Gleich hier, oder gehen wir vor die Tür?«
»Hört auf«, sagte Andrej. »Beide.«
Abu Dun schob zwar widerborstig die Lippen nach vorne, hörte dabei aber wenigstens auf zu grinsen, und Meruhe drehte sich wortlos um, ging zu Marcus und zog den Gürtel aus seiner Hose. Andrej nahm ihn zwar dankbar entgegen, deutete aber de n noch auf den schlafenden Inspektor.
»Was ist mit ihm?«
»Er wird noch eine ganze Weile schlafen«, antwortete sie, »und danach ganz gewiss andere Sorgen haben als eine ru t schende Hose.«
»Du willst ihn hierlassen?«, fragte Abu Dun.
»Wir können ihn nicht mitnehmen«, antwortete Meruhe. »Und hier ist er sicher.«
»Solange das Haus nicht zu brennen anfängt, wenigstens«, fügte Abu Dun hinzu.
Meruhe lächelte traurig. »Warum auch immer das Feuer di e ses Zimmer verschont hat«, sagte sie mit einer Geste in die Runde, »anderswo war es nicht so großzügig. Es gibt hier nicht mehr viel, was brennen könnte.«
Sie geduldete sich - mühsam -, bis Andrej sich den viel zu kurzen Gürtel umgebunden hatte. Er beging nicht den Fehler , Gunjir unter den Gürtel schieben zu wollen. Die gewaltige Götterklinge wirkte plump, aber ihr zweischneidiges Heft war schärfer als das Messer eines Barbiers. Stattdessen wickelte er die Klinge wieder in das angesengte Tuch und bettete sie dann so in seine Armbeuge, dass er sie mit einer einzigen raschen Bewegung aus dem Handgelenk hervorschnellen lassen konnte. Meruhe nickte zwar anerkennend, wirkte aber noch immer auf eine Weise besorgt, die er noch nie zuvor an ihr beobachtet hatte.
»Wohin gehen wir?«, fragte Abu Dun.
Meruhe zögerte, antwortete dann aber doch: »Zum Star Irin. Wir treffen uns dort mit den anderen.«
»Welchen anderen?«
Meruhe schwieg und wandte sich ungeduldig zum Gehen, doch bevor sie das Zimmer verließen, blieb er noch einmal st e hen und zeigte auf Marcus. »Und er?«
»Er ist hier sichere r, als wenn er uns begleiten würde, glaub mir«, sagte Meruhe.
»Das meine ich nicht.« Andrej versuchte ihr eines, sehendes Auge mit Blicken zu fixieren, aber es gelang ihm nicht.
»Sondern?«
»Oben auf dem Dach«, antwortete Andrej. »Als Frederic ihn mir angeboten hat, um mich an ihm zu nähren ... du warst d a bei, habe ich recht?«
»Sagen wir, ich weiß, was geschehen ist«, sagte Meruhe ausweichend. »Warum?«
»Und was wäre geschehen, wenn ich sein Angebot ang e nommen und mich an ihm genährt hätte?«
»Was schon?«, fragte Meruhe lächelnd. »Du wärst jetzt nicht hier, und wir würden dieses Gespräch nicht führen.«
»Weil er mich betrogen hätte?«
»Nein.« Obwohl sie noch immer lächelte, war Meruhes Blick plötzlich so hart wie Damaszenerstahl. »Weil ich dich dann g e tötet hätte, Andrej.«
Meruhe hatte übertrieben, als sie behauptet hatte, sie müssten zum anderen Ende der Stadt. Trotzdem erschien Andrej die Strecke doppelt so lang, was auch, aber längst nicht nur, an seiner Erschöpfung lag. Seine Glieder fühlten sich nach wie vor an, als wären sie mit unsichtbaren Bleigewichten beschwert, und er wartete vergeblich darauf, dass die nagende Schwäche nachließ. Der Quell schier unerschöpflicher Kraft in seinem Inneren, der ihm zeit seines Lebens zur Verfügung gestanden hatte, war versiegt, und an seiner Stelle gähnte ein bodenloser schwarzer Abgrund. Vielleicht hatte ihm Frederic mehr ang e tan, als ihn nur in Versuchung zu bringen, vielleicht war das auch der Preis, den er für Meruhes geliehene Kraft bezahlen musste. Er wusste es nicht. Vielleicht hatte er auch Angst vor der Antwort.
Aber das allein war es nicht. Viel schlimmer war der Anblick der Stadt, durch die sie marschierten.
London starb. Nur die wenigsten Häuser, an denen sie vo r beikamen, brannten noch, doch der Anblick der verkohlten R u inen, die die mit Trümmern übersäten Straßen säumten, war beinahe noch furchtbarer. Auf dem ersten Stück trafen sie nur wenige Menschen, und diejenigen, die ihnen begegneten, machten ihnen auf die gleiche geheimnisvolle Weise Platz, die Andrej schon vorher aufgefallen war. Sie wichen ihnen aus oder blieben scheinbar willkürlich und oft genug mit ratlosem G e sicht
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