Glut und Asche
hinzu: »Ich weiß es nicht.«
»Wenigstens gibst du es zu und ...«
»Still!«, flüsterte Meruhe. »Keinen Laut! Und rührt euch nicht!«
Andrej tauschte zwar einen verwirrten Blick mit Abu Dun, gehorchte aber und ließ sich In eine halb angespannte, geduckte Haltung sinken. Abu Dun tat dasselbe und legte die Hand auf den Schwertgriff. Meruhe hob mahnend die Hand, legte dann den Zeigefinger über die Lippen und deutete mit der anderen Hand zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Andrejs Blick folgte der Bewegung, auch wenn er zuerst dort rein gar nichts Außergewöhnliches feststellen konnte - sah man von einer außer Rand und Band geratenen Menschenmenge ab, die Ihr Möglichstes tat, um sich selbst zu Tode zu trampeln. Dann fiel Ihm doch etwas auf ... nur konnte er im allerersten Moment nicht einmal sagen was.
Es hatte etwas mit der Bewegung all dieser Menschen zu tun. Nach wie vor rannten sie scheinbar kopflos und In schierer P a nik durcheinander, und doch hatte sich etwas geändert - wie eine Unterströmung in wild bewegtem Wasser, die das gesamte Strömungsmuster veränderte, ohne dass man den Finger auf diese Veränderung legen konnte.
Dann begriff er Drei Gestalten waren aufgetaucht, die sich ganz wie Meruhe, Abu Dun und er vorhin ihren Weg durch die Menschen bahnten und die sich auf den ersten Blick in nichts von der panischen Menschenmenge unterschieden - mit zwei Ausnahmen vielleicht: Alle drei waren mit Musketen bewaffnet und trugen Kürass und Helm sowie Schwerter und Dolche am Gürtel.
Und es waren Vampyre.
Abu Dun musste es zur gleichen Zeit gespürt haben wie er, denn Andrej fühlte nicht nur, wie er sich weiter anspannte, sondern hörte auch das leise Scharren, mit dem er seinen Säbel vollends aus der Scheide zog.
»Nicht!«, zischte Meruhe noch einmal. »Was auch immer passiert, ihr unternehmt nichts!«
Andrej hatte ohnehin das Gefühl, dass er nicht besonders viel tun konnte. Sein Herz schlug jetzt nicht mehr so hektisch und schnell wie auf dem Weg hierher, aber seine Glieder fühlten sich noch immer an, als wären sie mit heißem Sand gefüllt, und selbst Gunjirs Griff lag kalt und sonderbar in seiner Hand. Trotz allem war es ihm bisher gelungen, sich selbst einzureden, dass seine Kräfte sich regenerieren würden, wenn er ihnen nur ein wenig Zeit ließ, aber spätestens jetzt war der Moment geko m men, sich einzugestehen, dass das nicht geschehen würde. Marcus - und vor allem Frederic später hatte ihn weit über die Grenzen dessen hinausgetrieben, was er jemals hatte ertragen müssen. Es war einzig Meruhes geliehene Kraft gewesen, die ihn bisher vor dem endgültigen Zusammenbruch bewahrt hatte, und diese Kraft versiegte nun immer rascher. Andrej bezwe i felte, dass er auch nur noch das Schwert heben konnte, g e schweige denn einen Zweikampf mit einem Vampyr gewinnen.
Die drei Vampyre näherten sich ihrem Versteck nicht in d i rekter Linie, wohl aber ungefähr, was an der Bewegung in der Menge zu erkennen war - genau wie bei Meruhe zuvor ve r suchte jedermann, den drei behelmten Gestalten auszuweichen, gleich, ob er sie direkt sah oder nicht. Es war, dachte er, als verspürten all diese Menschen eine instinktive Abneigung g e gen etwas Unsichtbares, das sie weder beschreiben noch b e kämpfen konnten, gegen das sie aber auch hilflos waren. Die Menge war zu dicht gedrängt und ihre Bewegung zu unaufhal t sam, um ihnen auszuweichen, aber sie versuchte es, und das war mehr als deutlich zu sehen.
»Meruhe, was hast du vor?«, fragte Abu Dun gepresst. »Verdammt, wir müssen hier weg!«
Meruhe antwortete nicht, und Andrej riss seinen Blick mit einiger Mühe vom Anblick der drei näher kommenden Vampyre los und sah die Nubierin an.
Was er sah, verwirrte ihn, und vielleicht sollte es ihn sogar erschrecken.
Meruhe hatte die Augen geschlossen und stand in sonderbar verkrampfter Haltung da, die Hände zu Fäusten geballt und e i nen Ausdruck höchster Konzentration auf dem Gesicht. Ihre sonst so vollen Lippen waren zu einem dünnen und nahezu blutleeren Strich zusammengepresst, wie eine Narbe, die ihr Gesicht in zwei ungleiche Hälften spaltete - ein gespenstischer Effekt in ihrem vollkommen schwarzen Gesicht.
»Meruhe?«, fragte Andrej.
Auch er bekam keine Antwort, genau wie Abu Dun zuvor, aber Meruhes Anspannung nahm noch einmal sichtbar zu. Sie begann am ganzen Leib zu zittern, und ein seltsames, an - und a b schwellendes Wimmern kam über ihre zusammengepressten Lippen,
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