Glut und Asche
gewahrte, kämpften einen ebenso verzweifelten wie aussicht s losen Kampf gegen die Flammen, die bereits das Heck des Schiffes erfasst hatten und sich unbarmherzig weiterfraßen.
Andrej verlängerte in Gedanken den schwankenden Kurs des Schiffes. Es war, wie er befürchtet hatte: Das Schiff würde mit der Brücke kollidieren, und das weniger als einen halben Steinwurf von ihrer Position entfernt. Zweifellos würde das gewaltige Bauwerk dem Anprall des Schiffes standhalten, doch die Flammen züngelten bereits an den Masten hoch, und es g e hörte nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was geschah, wenn die brennenden Segel die zum größten Teil mit Stroh g e deckten Dächer berührten. Er hatte gedacht, dass dieser Brücke und den Menschen darauf noch Stunden blieben, aber wah r scheinlich waren es eher Minuten.
»Wie lange noch?«, wandte er sich an die Kriegerin.
Er hatte nicht damit gerechnet, eine Antwort zu bekommen, und bekam auch keine - hätte er die beiden Kriegerinnen nicht ein paarmal mit Meruhe reden hören, wäre er längst zu dem Schluss gekommen, dass sie stumm w a ren -, doch dann stand sie auf und wollte sich dem Torgebäude zuwenden. Andrej hielt sie hastig zurück.
»Abu Dun und ich gehen allein«, sagte er »Du musst deine Herrin suchen. Weißt du, wo sie ist?« Die Kriegerin nickte. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. »Gut«, sagte Andrej. »Dann geh zu ihr und sag ihr, was hier passieren wird. Sie soll die Leute von der Brücke schaffen. Abu Dun und ich kommen allein zurecht.«
Die Kriegerin zögerte und sah noch einmal zu dem herantreibenden Schiff zurück. Dann nickte sie und verschwand mit lautlosen Schritten auf dem Dach.
»Los!«, befahl Andrej. Plötzlich selbst so sicher, als liefe er über festen Boden und nicht über ein schlüpfrig-steiles Stro h dach, stürmte er los, überwand zwei weitere Dächer und fand sich jäh vor der weitere fünfzehn Fuß lotrecht in die Höhe str e benden Seitenwand des Torhauses wieder.
Natürlich war es das vermutlich einzige Gebäude in ganz London, dessen Wände gerade frisch verputzt worden waren. Die Mauer war so glatt, dass nicht einmal eine Fliege daran Halt gefunden hätte, und das einzige Fenster auf dieser Seite lag g e rade weit genug über ihnen, dass er es selbst dann nicht mit ausgestreckten Armen erreichen konnte, wenn er sich auf Abu Duns Schultern stellte.
Noch während er überlegte, wie er dieses unerwartete Hi n dernis überwinden konnte, zog Abu Dun den Dolch, den Meruhe ihm gegeben hatte, und rammte die Waffe mit solcher Gewalt gegen die Wand, dass ein fingern agelgroßes Stück der Spitze abbrach. In der frisch verputzten Mauer blieb ein kaum sichtbarer Kra t zer zurück, sodass er seine Attacke insgesamt noch dreimal wiederholen musste, bis er einen Spalt geschaffen hatte, der so aussah, als würde er einem Finger oder einer Sti e felspitze Halt bieten können.
Schier eine Ewigkeit verging, in der Abu Dun sich beharrlich mit Finger - und Zehenspitzen in seinen selbst geschaffenen Trittstufen die Wand hinaufarbeitete. Der ehemals prachtvolle Dolch war verbogen, großteils seiner Edelsteine beraubt und hoffnungslos ruiniert, als er schließlich hoch genug gekommen war, um die Hand nach dem Fenster auszustrecken, und auch Andrej begann hinter ihm an der Wand nach oben zu klettern.
Und beinahe hätten sie es sogar geschafft.
Abu Dun löste auch die andere Hand von ihrem improvisie r ten Halt und griff nach dem Fensterbrett, als ein gewaltiger Schlag die gesamte Brücke und mit ihr auch das Torhaus erb e ben ließ. Abu Duns linke Hand und auch seine Füße verloren ihren Halt, sodass sein ganzes Körpergewicht nur noch an den Fingerspi t zen einer Hand hing. Auch Andrej brauchte plötzlich all seine Kraft und Geschicklichkeit, um nicht abzurutschen und dreißig Fuß weit in die Tiefe zu stürzen. Ein Chor erschrock e ner Schreie wehte zu ihm herauf, und für die Dauer eines en d losen Herzschlages schien die ganze Welt in einem höllischen gelben Licht zu erstrahlen. Die Schreie wurden immer lauter.
Andrej klammerte sich mit aller Gewalt fest und wartete mit angehaltenem Atem, bis Abu Dun über ihm wieder festen Halt gefunden hatte. Erst als er sicher war, dass nicht im nächsten Moment der Mond vom Himmel fiel und ihn mit sich in die Tiefe riss, wagte er es, sein Gewicht vorsichtig zu verlagern und einen Blick über die Schulter zu riskieren.
Vielleicht hätte er es besser nicht getan.
Ihnen war noch weniger Zeit
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