Glut und Asche
geblieben, als er ohnehin schon gefürchtet hatte. Das Schiff war gegen die Brücke geprallt. Doch damit nicht genug, denn das Schicksal kannte kein E r barmen. Die steuerlose Brigg hatte sich in der Strömung g e dreht und war nicht mit dem Bug, sondern der Flanke gegen die Brücke geprallt, und in der kurzen Zeit, seit sie das Schiff zum ersten Mal gesehen hatten, hatte das Feuer auf alle drei Masten übergegriffen. Die vorhin noch gerefften Segel hingen jetzt schlaff und lodernd von den Rahen, nachdem ihre Vertäuung durchgebrannt war. Wie drei riesige brennende Fackeln legten sie sich an die Brücke.
Seit der Kollision waren erst wenige Atemzüge vergangen, und trotzdem hatten bereits drei oder vier strohgedeckte Dächer Feuer gefangen, und noch während er hinsah, ging ein weiterer Dachstuhl mit einem dumpfen Knall und einer Explosion aus unzähligen Funken in Flammen auf.
Nur mit Mühe riss sich Andrej von der morbiden Faszination des Anblicks los, sah wieder nach oben und stellte fest, dass der abstruse Sinn für Humor, den die Schicksalsgötter heute an den Tag legten, noch längst nicht erschöpft war Abu Dun hatte wieder festen Halt gefunden und setzte gerade zum zweiten Mal dazu an, nach dem Fenstersims zu greifen, als Kopf und Schu l tern eines dunkelhaarigen Mannes über ihm erschienen. Abu Dun ließ ihm weder die Zeit, seine Überraschung zu überwi n den, noch gar einen verräterischen Schrei auszustoßen, sondern führte seine angefangene Bewegung zu Ende, indem er nach dem Hemd des Burschen griff und ihn mit einem einzigen Ruck nach draußen zerrte. Vielleicht blieb ihm noch Zeit für einen entsetzten Schrei, aber wenn, dann ging er in dem panischen Chor unter, der von der Straße heraufwehte.
Abu Dun zog sich mit einer kraftvollen Bewegung durch den Fensterrahmen, tauchte nur einen Sekundenbruchteil später wieder auf und griff nun nach Andrejs Arm, um ihn ebenso mühelos und schnell zu sich heraufzuziehen, wie er den anderen gerade aus dem Fenster gerissen hatte. Und auch nicht unb e dingt sanfter. Andrej hatte gewusst, was kam, und instinktiv alle Muskeln angespannt. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass ihm der Arm aus der Schulter gerissen oder doch zumindest ausg e kugelt wurde. Zudem zerrte ihn Abu Dun mit solchem Ung e stüm zu sich herein, dass er noch drei oder vier Schritte weite r stolperte und nur wie durch ein Wunder nicht stürzte.
Vielleicht lag es auch an der geschlossenen Tür, gegen die er mit großer Wucht prallte. Für einen Moment sah er nur bunte Lichtblitze, und ihm wurden die Knie weich.
»Das hast du mit Absicht getan«, sagte er vorwurfsvoll, nachdem er sich zu Abu Dun umgedreht und sich das Blut aus dem Gesicht gewischt hatte.
»Und großem Vergnügen«, bestätigte der Nubier zufrieden. »Einem frischgebackenen Unsterblichen dürfte das doch wohl nichts ausmachen, oder?«
Andrej schluckte eine Antwort herunter, die ihm dazu auf der Zunge gelegen hatte. Sie würden über dieses Thema reden - und über einige andere auch -, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er fuhr sich nur noch einmal mit dem Handrücken durchs Gesicht und zog Gunjir aus dem Gü r tel, während er sich rasch und aufmerksam umsah.
Sehr viel gab es allerdings nicht zu entdecken. Die Kammer war winzig, starrte vor Schmutz und war leer bis auf einen dreibeinigen Schemel, auf dem der unglückselige Brücke n wächter vielleicht von Zeit zu Zeit ausgeruht hatte. Ein sonde r barer Geruch hing in der Luft, schwer zu definieren, aber u n angenehm, und der Boden unter ihnen schien sacht zu zittern - vielleicht das Echo Tausender panisch trampelnder Füße, unter dem die gesamte Brücke vibrierte.
Abu Dun begutachtete Grimassen schneidend das jämmerl i che Etwas, das von dem gerade noch prachtvollen Krummdolch übrig geblieben war, ließ ein bedauerndes Seufzen hören und steckte es dann ein, bevor er seinen Säbel zog und auf die Tür deutete, die Andrejs Stolpern gerade ein so unsanftes Ende g e setzt hatte. Geräusche drangen durch das dicke Holz, verzerrt und dumpf und zum Großteil wohl nur ein Echo des Infernos draußen auf der Straße, das auf diesem Umweg zu ihnen he r eindrang. Der Gedanke erinnerte Andrej wieder daran, dass L o ki und seine Vampyre nicht die einzige Gefahr waren, die sie bedrohte. Und vor allem, wie wenig Zeit ihnen noch blieb.
Er bedeutete Abu Dun mit einer (vollkommen überflüssigen) Geste, leise zu sein, und zog die Tür einen haarfeinen Spalt auf. Die Geräusche
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