Glut und Asche
um ihre Frage zu b e antworten, Mister Delany «, fuhr die Zimmerwirtin fort, wobei sie seinen Namen bewusst mit englischer Betonung aussprach, wie um ihm auf diese Weise mitzuteilen, dass sie sehr wohl wusste, dass er Ausländer und damit per se ungebildet und ein Barbar war, »gibt es in ihrer Heimat keinen Unterschied zw i schen Arm und Reich? Dann muss es ein sehr erstaunliches Land sein.«
»Es tut uns leid, Miss Torrent«, sagte Abu Dun, bevor A n drej es tun konnte, und das in perfekt geschliffenem und schon fast übermäßig präzise betontem Englisch. »Wir wollten Sie gewiss nicht beleidigen. Aber dort, wo wir herkommen, sind diese U n terschiede vielleicht nicht ganz so deutlich.«
»Dann nehme ich an, in Ihrer Heimat gibt es keine armen Menschen.«
Abu Dun überhörte die Frage, die sich in diesen Worten verbarg, geflissentlich. »Sagen wir, man legt dort nicht so viel Wert auf Äußerlichkeiten wie hier«, antwortete er.
»Diese Tote ist nicht die erste, die man so findet, nicht wahr?«, fragte Andrej rasch, bevor sich das Gespräch vollends in eine Richtung entwickeln konnte, die ihm nicht behagte.
»Das ist eine ganz schreckliche Geschichte«, bestätigte Miss Torrent. Sie schien zu zögern, zog sich aber dann doch einen Stuhl heran und nahm darauf Platz. »Es muss ein Verrückter sein, der in der Stadt umherschleicht. Die Leute erzählen schon schlimme und gotteslästerliche Geschichten. Es ist der sechste oder siebte Mord binnen einer einzigen Woche.« Und eigen t lich, schien der kurze und fast erschrockene Blick zu sagen, mit dem sie zuerst Abu Dun und dann ihn maß, erst seit dem Tag, an dem ihr angekommen seid. »Er scheint es nur auf Leute aus den besseren Kreisen abgesehen zu haben. Wenn das so we i tergeht, dann traut sich bald niemand mehr nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus.«
Unbehagliches Schweigen machte sich breit. Andrej gewann noch ein wenig Zeit, indem er sich mit großem Appetit seinem Frühstück widmete und mit einem Gefühl verhohlener Sch a denfreude die gierigen Blicke genoss, mit denen Abu Dun jede einzelne Gabel verfolgte, die in seinem Mund verschwand. Aber schließlich wandte er sich doch wieder an ihre Zimme r wirtin. »Bitte verzeihen Sie, Miss Torrent«, sagte er »Ich will niemandem zu nahe treten, aber ist ein Mord in einer Stadt di e ser Größe tatsächlich etwas so Außergewöhnliches?«
»Selbstverständlich nicht«, erwiderte sie leicht gekränkt. »Gott hat die Menschen leider nicht perfekt erschaffen. Wo so viele auf so engem Raum beieinander leben, da bleibt es nicht aus, dass die Sünde um sich greift und schlimme Dinge g e schehen. Aber wo kommen wir hin, wenn jetzt auch schon die edlen Herrschaften nicht mehr auf die Straße gehen können, ohne um ihr Leben zu fürchten?« Sie machte ein grimmiges Gesicht. »Es wird immer schlimmer. Noch bis gestern hätte ich mir nicht einmal träumen lassen, dass dieses Diebesgesindel eines Tages auch in mein Haus eindringt. Aber ich bin sicher, dass die Leute des Sheriffs für Ordnung sorgen.«
Andrej hatte zu Ende gegessen. Außerdem begann sich das Gespräch schon wieder in eine Richtung zu bewegen, die ihm nicht behagte. Er war nicht mehr ganz sicher, dass Abu Dun recht hatte und dieses ungewohnt reichhaltige Frühstück nur ein Ausdruck von Miss Torrents schlechtem Gewissen war; ebenso wenig wie das genauso ungewohnt vertraute Gespräch. Vie l mehr hatte er das Gefühl, dass sie auf irgendetwas Bestimmtes hinauswollte und bisher nur nicht den Mut aufgebracht hatte, es anzusprechen.
Und sein Gefühl sagte ihm auch, dass er es gar nicht hören wollte.
Mit einem demonstrativ zufriedenen Gesichtsausdruck stellte er den beinahe geleerten Teller auf den Tisch zurück, und Abu Dun nahm ihn an sich, noch bevor das feine Porzellan die Tischplatte richtig berührt hatte, um mit einem Stück Brot über die verbliebenen Reste herzufallen. Andrej warf ihm einen strafenden Blick zu, sagte aber nichts, sondern wandte sich an ihre Zimmerwirtin.
»Ich danke Ihnen«, sagte er. »Das war wirklich köstlich. Aber nun müssen wir uns entschuldigen, fürchte ich. Mein Diener und ich haben heute noch dringende Geschäfte zu erl e digen.«
»Ich weiß«, sagte Miss Torrent.
Abu Dun stellte seine Versuche ein, mit einem Stück Brot die Glasur von seinem Teller zu schmirgeln, und sah sie übe r rascht an. Auch Andrej zog erstaunt die Augenbrauen zusa m men. »Woher?«
»Oh nein, nicht, was Sie jetzt wahrscheinlich denken!«,
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