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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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sagte Miss Torrent rasch, und fast ein bisschen belustigt. »Ich habe nicht gelauscht.« Sie deutete mit dem Kopf zum Ausgang. »Die Droschke, die Sie bestellt haben, wartet schon seit einer Weile draußen auf Sie. Aber ich habe mir die Freiheit genommen, dem Fahrer zu sagen, dass er sich noch etwas gedulden muss, bis Sie zu Ende gefrühstückt haben. Man sollte einen Tag nie ohne ein gutes Frühstück beginnen. Das ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, müssen Sie wissen.«
    Diesmal konnte Andrej einen ebenso überraschten wie ala r mierten Blick in Abu Duns Richtung nicht ganz unterdrücken. Droschke? Sie hatten keine Droschke bestellt. Es war nur ein Fußmarsch von weniger als einer halben Stunde bis zu der Stelle, an der sie gestern mit Jack und den anderen gesprochen hatten. Was bedeutete das?
    »Nun, das war sehr fürsorglich von Ihnen, Miss Torrent«, sagte er, während er aufstand und sich beherrschen musste, um es nicht zu schnell zu tun. »Aber nun sollten wir den guten Mann nicht länger als nötig warten lassen.«
    Er sah zu, wie Abu Dun den Teller (er sah noch nicht ganz so aus wie frisch abgewaschen, aber beinahe) mit einem Ausdruck deutlichen Bedauerns auf den Tisch zurückstellte, wandte sich um und ging zur Tür. Nicht nur Abu Dun, sondern auch Miss Torrent folgte ihm. Vielleicht, dachte er, wollte sie einfach den Anblick einer leibhaftigen Droschke, wie sie sonst nur die be s seren Leute benutzen, über die sie gerade gesprochen hatte, vor ihrem einfachen Haus genießen oder hoffte auch, dass auf diese Weise wenigstens etwas von dem Glanz ihrer - offensichtlich wohlhabenden - Gäste auf sie abfärbte.
    Und vielleicht nicht einmal zu Unrecht, wie Andrej feststel l te, während er aus dem Haus trat und verblüfft mitten im Schritt innehielt. Es war keine einfache, ärmliche Kutsche wie die, mit der Abu Dun ihn am vergangenen Morgen abgeholt hatte, so n dern ein schon beinahe prachtvolles Fuhrwerk aus poliertem, schwarzem Holz und geschlossen, das von zwei ebenfalls schwarzen, sehr gepflegt aussehenden Pferden gezogen wurde. Der Fahrer, der auf seinem Bock saß und geduldig auf sie wa r tete, trug ein nobles Cape und einen Zylinder, und allein das Zaumzeug seiner Pferde musste mehr wert sein als die gesamte Einrichtung des Westminster.
    »Was hat das zu bedeuten?«, murmelte Abu Dun neben ihm - vorsichtshalber aber auf Arabisch.
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete Andrej in derselben Sprache. »Aber es gefällt mir nicht.« Er überlegte, ob sie überhaupt einsteigen sollten. Sie hatten diesen Wagen nicht bestellt, und ihm fiel auch niemand ein, der es hätte tun können. Sie kannten praktisch niemanden in der Stadt und ...
    Dann fiel ihm sein Denkfehler auf. Es gab jemanden hier, der sie kannte, und es war jemand, dem ein solch theatralischer Auftritt gut zuzutrauen war.
    »Ich glaube, sie lernt es nie«, murmelte Abu Dun. Seine G e danken schienen sich auf ganz ähnlichen Pfaden zu bewegen wie die Andrejs. Er seufzte tief und übertrieben, ging voraus und öffnete, zwar mit einem spöttischen Blick in Andrejs Ric h tung, nun aber perfekt den Leibdiener spielend, in dessen Rolle er geschlüpft war, seit sie in London angekommen waren, die Tür Andrej musste ein Grinsen unterdrücken, wurde aber sofort wieder ernst, als ihm der seltsame Blick auffiel, mit dem ihn der Fahrer maß. Er vermochte ihn nicht zu deuten, aber er war nicht angenehm. Der Mann verzog jedoch keine Miene, sondern deutete nur eine Bewegung an, wie um seinen Zylinder zu h e ben, und griff mit der anderen Hand nach der langen Gerte, die quer über seinen Knien lag. Andrej erteilte sich in Gedanken einen knappen Verweis. Bald würde es nicht mehr lange hin sein, bis er hinter jedem Schatten einen Meuchelmörder und hinter jeder streunenden Katze einen verkleideten Spion ar g wöhnte.
    Er stieg ein. Da sprang ihn ein Schatten an, klein und so g e schwind, dass er ihn trotz seiner übermenschlich schnellen R e flexe kaum sah. Andrej verlor mitten in der Bewegung das Gleichgewicht und fiel unsanft auf die weich gepolsterte Bank.
    Den tödlichen Schlag, mit dem er den vermeintlichen A n greifer hatte abwehren wollen, konnte er im letzten Moment zurüc k halten, riss dann erstaunt die Augen auf und blickte auf das vielleicht sieben - oder achtjährige Mädchen hinab, das auf se i nem Schoß saß und ihn aus einem von goldfarbenen Locken eingerahmten Kindergesicht anstrahlte.
    »Bess?«, murmelte er verstört.
    »Ich wusste,

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