Glutheißer Höllentrip
gesprochen. Aber da war etwas mit … meinem Stiefvater.“
Li schien zu spüren, wie schwer es Kathy fiel, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Die Chinesin legte ihre Hand auf Kathys Unterarm. „Du musst nicht darüber reden, okay?“
„Ich will es aber, Li. Sollen wir hier vielleicht nur die ganze Zeit darauf warten, was Pete als Nächstes vorhat? Das kann ich nicht. Wenn ich das tue, dann drehe ich wirklich durch. Ich erzähle dir lieber von Richard. So hieß mein Stiefvater nämlich. Pete erinnert mich übrigens total an Richard, er ist genauso aufbrausend und unberechenbar.“
„Dann war deine Kindheit wohl nicht gerade glücklich?“, fragte Li mitfühlend.
„Nicht wirklich. In meinen ersten Lebensjahren war ich noch mit meiner Mom allein. Mein Vater hat uns verlassen und niemals Unterhalt für mich gezahlt, soweit ich weiß. Aber als ich sechs Jahre alt war, lernte meine Mutter Richard kennen. Und damit nahm das Unglück seinen Lauf.“
„Wie meinst du das?“
„Anfangs war Richard total nett, auch mir gegenüber. Er brachte mir Geschenke mit und spielte mit mir. Der Dreckskerl hatte kapiert, dass der Weg zu Moms Herz über mich führte. Es funktionierte auch. Ich wurde ein totaler Fan von Richard. Ich war begeistert davon, dass meine Mutter nach einem halben Jahr mit ihm zusammenziehen wollte. Aber dann zeigte er sein wahres Gesicht.“
Kathy begriff plötzlich, wie absurd ihre momentane Lage war. Sie saß als Geisel in einem Bus irgendwo in der Wüste und legte bei einem anderen Entführungsopfer flüsternd ihre Lebensbeichte ab. Aber es tat gut, sich diese Dinge einmal von der Seele reden zu können. Bisher hatte sie nämlich immer nur geschwiegen. Aber jetzt mussten diese Dinge einfach mal heraus. Wer konnte schon sagen, ob sie den nächsten Morgen noch erleben würden? Kathy wollte ihr Geständnis jedenfalls nicht mit ins Grab nehmen.
Li sagte nichts, schaute sie aber fragend an. Also sprach Kathy weiter.
„Ich habe lange die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Ich wollte einfach nicht begreifen, dass Richard meine Mutter schlug. So etwas ist für ein Kind entsetzlich, das kannst du mir glauben. Nach außen hin schuf dieser Heuchler eine perfekte Fassade. Er spielte den treusorgenden Ehemann. Es gab niemanden, dem ich mich anvertrauen konnte. Wer hätte mir denn geglaubt? Ich war ein kleines Mädchen.“
„Was war denn mit deiner Mom? Hat sie nicht versucht, von ihm loszukommen?“
Kathy schüttelte den Kopf. „Nein, das kann man nicht behaupten. Ich glaube, sie hatte einfach totale Panik. Wie gesagt, Richard war zu allem fähig. Er kannte auch kein Mitleid.“
„Das ist übrigens typisch für Psychopathen, Kathy. Das habe ich im Studium gelernt. In den Gehirnteilen, wo bei normalen Menschen solche Empfindungen wie Mitgefühl angesiedelt sind, herrscht bei ihnen gähnende Leere. Darum können sie auch töten, ohne jemals Reue zu empfinden.“
„Ist das so? Nun, das wundert mich nicht. Jedenfalls habe ich damals gelernt, mich unter allen Umständen zusammenzureißen. Wenn Richard ausrastete, bin ich äußerlich ganz ruhig geblieben. Zwar habe ich mir auch die eine oder andere Ohrfeige eingefangen, aber es hätte noch viel schlimmer kommen können. Es gab ja keinen Ausweg. Oft habe ich davon geträumt, einfach wegzulaufen. Aber ich konnte meine Mutter doch nicht mit dem Dreckskerl allein lassen.“
Li druckste herum. „Dieser Richard – hat er dich mal angefasst? Ich meine …“
„Ich weiß, was du meinst. Aber das hat er zum Glück niemals getan, obwohl er bestimmt keine Skrupel gehabt hätte. Ich glaube, er stand einfach nicht auf kleine Kinder. Und als ich zwölf wurde, hat es das Schicksal dann endlich gut mit uns gemeint.“
„Wieso?“
„Richard starb bei einem Autounfall. So ein Typ wie er war natürlich auch ein begeisterter Raser. Dadurch hat er sich sein eigenes Grab geschaufelt. Seine Karre hat sich auf der Autobahn dreimal überschlagen, bevor sie in Flammen aufging. Die Rettungskräfte hatten keine Chance. Als sie das Feuer endlich gelöscht hatten, war mein Stiefvater schon tot. Das war der bisher glücklichste Tag in meinem Leben.“
Li ließ langsam die Luft aus den Lungen. „Wow – das klingt ganz schön hart. Aber ich kann dich verstehen. Dieser Mann hat dir einige Jahre deines Lebens gründlich vermiest. Und wie ging es danach weiter?“
Kathy zuckte mit den Schultern. „Wie soll es weitergegangen sein? Meine Mom ist nach den Erfahrungen mit
Weitere Kostenlose Bücher