Glutheißer Höllentrip
daran gab es keinen Zweifel. Kathy warf über die Schulter einen Blick zurück. Sie sah hinter sich den beleuchteten Bus, der wie eine kleine Insel des Lichts inmitten der schwarzen Wüstenfinsternis stand. Vor diesem Hintergrund bewegten sich zwei schemenhafte Gestalten schnell auf sie zu.
Wer war es? Von allen Kidnappern hatten Kathy und Li von David noch die menschenfreundlichste Behandlung zu erwarten. Aber er allein würde sich auch nicht gegen Pete durchsetzen können. Wenn der Ausbrecher-Boss den Tod der beiden Flüchtenden beschloss, konnte David dagegen nicht aufbegehren. Allein schon, weil Pete und sein treuer Gefolgsmann Jay die Pistolen hatten. Also war es am besten, wenn Kathy und Li sich gar nicht erst wieder einfangen ließen. Sonst wäre ja ihr Entkommen völlig sinnlos gewesen.
Doch Kathy wusste nicht, wie lange sie die Flucht durchhalten konnte. Zum Glück war sie sportlich. Aber es war schon ein Unterschied, ob man morgens vor der Vorlesung ein paar Meilen gemütlich durch den Park joggte oder unter Todesangst durch eine nächtliche Einöde auf einem fremden Kontinent rannte, mit einem blutrünstigen Killer auf den Fersen.
Kathy verlor jedes Gespür für Zeit und Raum. Sie konzentrierte sich nur noch auf Lis hellorangefarbenes Top, das sie trotz der Dunkelheit glücklicherweise erkennen konnte. Auf gar keinen Fall wollte sie den Kontakt zu ihrer Gefährtin verlieren. Es war für Kathy eine absolute Horrorvorstellung, in dieser ihr unbekannten und lebensfeindlichen Umgebung gejagt zu werden und dabei völlig auf sich alleingestellt zu sein.
Kathy wurde allmählich langsamer. Es fiel ihr schwer, bei Lis Tempo mitzuhalten. Das entging auch der Chinesin nicht.
„Reiß dich zusammen!“, rief Li. „Wenn du zurückbleibst, kann ich nichts mehr für dich tun. Wir haben keine Waffen, wir müssen uns auf unseren Verstand verlassen!“
Im ersten Moment war Kathy geschockt von den harten Worten. Aber Li hatte ja recht, und ihre Warnung bewirkte einen gewaltigen Energieschub. Kathy schaffte es, ihre letzten Kraftreserven zu aktivieren. Sie hatte bereits Seitenstechen, ihre Lungen brannten wie Feuer. Sie strauchelte noch mehrere Male, fiel aber nicht mehr hin. Vor ihren Augen tanzten feurige Ringe. Als Kathy schon glaubte, gleich zusammenzubrechen, wurde Li langsamer.
„Warte, ich will horchen“, wisperte die Chinesin.
Kathy erwiderte nichts, sondern rang nur nach Atem. Sie hatte ihre Hände auf die Knie gestützt und schnappte keuchend nach Luft. Ihr Herz pochte wie ein Schmiedehammer. Hören konnte sie ohnehin fast nichts, abgesehen vom Rauschen ihres eigenen Blutes. Auf solche sportlichen Höchstleistungen hätte sie gerne verzichtet.
„Wir haben sie abgehängt“, sagte Li nun mit normaler Lautstärke.
Kathy schaute sich um. Die Lichter des Busses waren nirgendwo mehr zu entdecken. Sie hätte nicht sagen können, in welcher Richtung sich das gekidnappte Fahrzeug befand. Plötzlich wurde Kathy bewusst, dass sie überhaupt keinen Plan hatte. Sie war Li blindlings gefolgt, als die Chinesin die Flucht ergriffen hatte. Jetzt konnte Kathy nur darauf hoffen, dass Li wusste, was sie tat. Sonst wären sie verloren. Kathy führte sich vor Augen, wie wenige Einwohner Nevada hatte. Die Wahrscheinlichkeit, eine abgelegene Farm zu entdecken, ging gleich null.
„Wo sind wir eigentlich, Li?“
„Das ist eine sehr gute Frage“, gab die Chinesin verständig zurück. „Ich habe während der Bus-Odyssee auf den Nebenstraßen versucht, nicht die Orientierung zu verlieren. Meiner Meinung nach sind die Entführer in mehreren großen Schleifen gefahren, um uns in die Irre zu führen. Wenn ich mich nicht täusche, dann sind wir nicht mehr als zehn Meilen von dem Diner entfernt, wo wir zuletzt Pause gemacht haben.“
„Das wäre ja fantastisch!“, rief Kathy, ehe ihr einfiel, dass sie besser nicht so laut sprach. „Das ist eine Strecke, die man sogar zu Fuß bewältigen kann.“
„Theoretisch ja. Allerdings muss man dafür in die passende Richtung laufen. Wenn wir das nicht tun, sind wir geliefert. Dir sollte klar sein, dass wir kein Wasser bei uns haben. Etwas Essbares fehlt uns auch, aber Flüssigkeit ist das eigentliche Problem. Sobald die Sonne aufgeht, wird der Durst immer schlimmer. Erst kommt der Wahnsinn, dann der Tod. Wenn wir nicht innerhalb der nächsten Stunden das Diner oder eine andere menschliche Ansiedlung finden, sehe ich schwarz für uns.“
„Ja, du hast recht“, meinte Kathy
Weitere Kostenlose Bücher