Glutnester
auf den ausgeprägten Oberarm und nickt ihm aufmunternd zu. »Nimm nicht Platz und rühr nichts an.«
»Moch i!«, entgegnet der, fährt sich ungelenk durchs strähnige Haar, hustet, dass man an einen schrecklichen Auswurf denken muss, und bleibt bei all dem wie angewurzelt in der Küche stehen. Ein gebetener Gast, der innerhalb weniger Sekunden zum ungebetenen, dann zum Überbringer der Todesnachricht geworden ist.
»Wir brauchen übrigens deine Schuhe, Seppi. Wegen der Fußspuren«, fügt Dr. Horn an.
»Glei?«, will der Waldarbeiter verdutzt wissen.
»Schaut so aus«, bestätigt Karl Degenwald. Er zieht zwei Exemplare blauer Plastikfüßlinge hervor und reicht sie Sepp als Ersatz für sein Schuhwerk.
Elsa hat ihr Diktiergerät gezückt, hält es sich an den Mund und spricht konzentriert hinein. »Weibliche Leiche, Alter schätzungsweise Mitte, Ende 60, mit einer Kittelschürze bekleidet. Name Veronika …« Sie schaut Degenwald an.
»… Steffel!«, ergänzt der.
»Veronika Steffel«, spricht Elsa ins Diktiergerät. »Meine Güte, hier stinkt’s zum Fürchten.«
Sie schenkt der Leiche einen zweiten Blick. Ergänzt ihren ersten, voreiligen durch eine längst ins Auge gefasste Inspizierung. »Oh, mein Gott.« Elsa würgt und wendet sich angewidert ab. Sie schafft es, ein sie unvermittelt überkommendes Gefühl körperlicher Abneigung hinunterzuschlucken. »Die linke Seite ihres Kopfes ertrinkt in Erbrochenem.«
Der Gerichtsmediziner hat seine Handschuhe übergestreift, beugt sich zu Elsa und der Toten hinab und nimmt sich der Leiche an. Er deutet auf Veronika Steffel, die – bis auf das Erbrochene – friedlich daliegt. Wie zu einem Mittagsschläfchen niedergelegt. Nur auf den Boden, anstatt ins Bett. »Totenflecke am Nacken, in der Lendenregion und an den Oberschenkeln wären bei einer Leiche, die auf dem Rücken liegt, angezeigt.« Hörnchen hat Veronikas geblümten Kittel angehoben und daruntergelugt, um genau das zu überprüfen. Die Stirn ein krauses Wellenmeer kurz vorm Tsunami. »Farbe purpurrot«, ergänzt er und lässt vom Kittel ab.
»Sind wohl keine Blutergüsse«, meint Degenwald, der sich ebenfalls hinunterbeugt und zu grinsen versucht, als könne er die trostlose Situation so ein wenig auflockern.
»Wenn das Herz zu schlagen aufhört, wird der Körper nicht mehr durchblutet. Das Blut sinkt durch die Gefäße in die am tiefsten liegenden Körperpartien. Zuerst bilden sich rötlich-blaue Flecken, dann purpurrote, wie wir sie haben. Das heißt, Veronika ist bereits sechs bis acht Stunden tot.«
»Ist sie hier zu Tode gekommen? In der Küche?« Elsa schaut sich um und spürt, wie der Reis unter ihren Füßen knirscht.
»Vermutlich«, beantwortet Hörnchen Elsas Frage.
Elsa erspäht einen Raum, randvoll mit Vorräten und Utensilien. Dosen mit Ravioli und Eingelegtem, Ananas in Zuckerwasser etwa, Erbsen und Möhren im Sud, Mais und grüne Bohnen, bereits gewürzt und zum Aufwärmen bereit. Dazu Astrologiezeitschriften, Medizinschmöker, Schminkutensilien, Kämme, Bürsten, ein Standspiegel mit Vergrößerungsseite und Medikamente. Elsa schaut sich die halb aufgerissenen Schachteln mit Tabletten, Pastillen, Tropfen und Tinkturen an.
»Herrje. Das wird eine Arbeit werden.«
»Ich würde sagen, Unfall und normaler Tod kommen erst mal nicht infrage«, redet Dr. Horn laut in den Raum und seufzt betroffen.
»Wir finden hoffentlich brauchbare Fingerabdrücke«, spekuliert Degenwald und ruft Ben Fürnkreis von der Spurensicherung an.
»Mich interessiert im Moment, weshalb sie sich erbrochen hat«, erwidert Elsa. Sie hat ein Glitzern in den Augen, das anzeigt, dass sie sich längst auf der Jagd befindet. Jagd nach jemandem, der vorhat, sich seiner Tat weder zu stellen noch die Konsequenzen derselben zu tragen.
»Woran ist Frau Steffel überhaupt gestorben? Auf den ersten Blick ist nichts Auffälliges zu sehen.«
»Dann werd ich euch was präsentieren, das hoffentlich auf den zweiten Blick Appetit macht. Da könnt’s Gift drauf nehmen«, verspricht Hörnchen.
»Lieber nicht. Das ist der Veronika schon nicht gut bekommen, wenn du erlaubst, dass ich meine erste Vermutung laut ausspreche«, meint Degenwald, während er auf die Verbindung mit Fürnkreis wartet, die sich verzögert. Nicht ahnend, wie nahe er einem Teil der Wahrheit mit seiner Aussage kommt.
Das Leben hält Geschichten bereit, die geschickt eine zweite hinter der ersten verbergen. Weder Elsa Wegener noch Michael Horn und auch nicht
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