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Glutnester

Glutnester

Titel: Glutnester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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Karl Degenwald vermuten zu dieser Stunde, in diesem Raum, dass eine verstummte Geschichte, die sich hinter einer lauteren verbirgt, auf sie wartet. Diese verborgene, schweigsame Geschichte wird alles ad absurdum führen. Sie wird einen Ton erzeugen, der in Elsas Gehörgang eindringt, um dort für immer zu bleiben. Dieser Ton wird davon erzählen, dass das Leben die größte Mitgift oder der schlimmste Fluch sein kann.
     
    Eine Viertelstunde später bricht sich eine Lichtschneise einen Weg ins Dunkel dieses Falls. Elsa, ebenfalls mit Latexhandschuhen an den Händen, kommt in die Küche und hält dem Gerichtsmediziner ein dunkelbraunes Fläschchen unter die Nase. »Meiner Meinung nach könnte sich hier drin ein Narkosemittel befunden haben, Dr. Horn«, mutmaßt Elsa. »In Köln hatte ich, kurz bevor ich hierherkam, einen Fall, bei dem eine Frau mit Isofluran betäubt und danach mehrmals vergewaltigt wurde. Sie konnte sich hinterher an nichts erinnern. Leider hat ihr auch das nichts genützt. Die fehlende Erinnerung bot ihr keinen Schutz. Sie ist wenig später brutal von ihrem Vergewaltiger erschlagen worden.«
    Hörnchen fasst sich ans Ohr und beginnt es zu kneten. »Respektabler Hinweis, Frau Kollegin. Das mit dem Narkosemittel. Lasst mich mal laut ins Blaue überlegen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Veronika zuerst Schlaftabletten verabreicht bekommen hat, und das da ist das Behältnis, in dem sich das Mittel befand, das danach zum Einsatz kam«, er deutet zielsicher auf die Flasche in Elsas Hand, nimmt sie ihr ab und schnuppert daran. Er schaut auf und übergibt die Flasche an Degenwald, der sie in eine kleine Plastiktüte fallen lässt, die er sofort mit allen Angaben bezüglich Zeit, Ort und genauer Fundposition versieht. »Wir müssen uns alle Fenster ansehen. Ich hab oben, im ersten Stock, einen Ohrabdruck identifiziert. So, als ob jemand ein fettiges, zum Beispiel gerade mit Creme eingeschmiertes Ohr an die Scheibe gepresst hätte. Vielleicht ein Hinweis auf Gewalt?«, mischt Degenwald sich ein.
    »Verdammt, wo bleibt Ben?«, will Elsa wissen. Sie schaut nervös auf ihre Armbanduhr.
    »Der muss jeden Moment eintreffen«, verspricht Degenwald. Schließlich wendet Elsa sich erneut an Michael Horn. »Gehen Ihre Mutmaßungen bezüglich der Toten noch weiter?«
    »Absolut. Ich nehme einmal weiter an, dass man die Veronika mit einem Inhalationsanästhetikum bekannt gemacht hat. Vielleicht über einen Inhalator oder Zerstäuber zugeführt. Ein gewöhnlicher Luftbefeuchter täte es vermutlich auch. Ohne Wasser, dafür mit Narkosegas gefüllt.« Michael Horn deutet auf die Tüte in Degenwalds Hand, in der die Flasche ruht, die Elsa gefunden hat. »Das Einzige, worauf man achten muss, ist, dass es nicht zu einem Narkosezwischenfall kommt. Der kann nämlich mit dem Tod enden.«
    »Vielleicht handelt es sich hier um einen derartigen Zwischenfall? Könnte doch sein, dass die Täterin oder der Täter nicht unbedingt den Tod vorgesehen hatte.«
    »Vermutlich ist die Veronika eingeschlafen – ihr erinnert euch, die Schlaftabletten? – und hat sich dann, im Schlaf, erbrochen. Unglücklicherweise hat sie ihr Erbrochenes wieder eingeatmet und ist, während sie noch schlief, daran erstickt.«
    »Klingt schrecklich. Und tragisch.« Elsa geht in die Knie und schaut Veronika Steffel an.
    Draußen rührt sich plötzlich etwas. Vor dem Haus hält eine Armada von Fahrzeugen. Aus einem steigt ein gut aussehender Mann. Anfang 30. Längere Haare. Ein lockeres Grinsen im Gesicht. Trotz der Umstände.
    »Na endlich«, registriert Degenwald das Eintreffen der Spurentechniker.
    »Ben wird hier ’ne Menge zu tun haben«, spekuliert Hörnchen. »Da hilft es, dass er das gesamte Team mitgebracht hat.«
    »Was hat eigentlich dieser flammend rote Fleck auf Veronika Steffels Gesicht verloren?« Elsa schaut, nachdem sie die Tote die ganze Zeit über still betrachtet hat, hoch. Direkt in Dr. Horns grübelndes Gesicht.
    »Vermutlich eine gewöhnliche Verletzung«, merkt Degenwald, nur halb bei der Sache, an. »Vielleicht durch den Sturz ausgelöst.«
    »Nicht unbedingt.« Hörnchen hat sich neben Elsa gekniet und betrachtet, genau wie sie, eingehend den Fleck. Sie hocken derart nah nebeneinander, dass sie sich fast berühren. Nach ein paar Sekunden dreht Elsa Hörnchen ihr Gesicht zu. Seine Augen ruhen, weshalb auch immer, in einem unbeweglichen Gesicht, als sie zu sprechen beginnt.
    »Ich tippe auf Spuren des Narkosemittels«, sagt sie.

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