Glutnester
roten Haare. Dann suchen sie nach ihm. Dabei wollte er sie nur erfreuen. Mit all seiner Liebe. Die nie jemand will. Nie richtig wollte. Seine leiblichen Eltern nicht. Die Pflegeeltern noch weniger. Die waren lediglich am Prestigeobjekt Kind interessiert. Wollten ihre fade Ehe aufpeppen. Mit ihm. Die haben ihn nie ernst genommen, nie verstanden. Seine Freundinnen auch nicht. Elendige Weibsbilder. Dreckiges Frauenpack. Was blieb da übrig? Die Unangerührten. Die jungen Mädchen. Die konnten ehrlich lieben. Und er liebt ihre Slips. Wenn er eine Nachricht schickt, dann auf einem Slip. Ihm fällt nichts anderes, nichts Besseres ein. Er ist Gerd Speckbacher, der Mann, der zu wenig ehrliche Liebe bekommen hat und sich bis jetzt mit kleinen Stofffetzen zufriedengeben musste. Das ist sein Problem.
Er kippt den Bourbon hinunter und gießt sich erneut ein. Dann trinkt er und füllt das Glas ein weiteres Mal. Bis er nach der Flasche greift und sie sich an den Mund setzt. Die Öffnung der Flasche an den Lippen, lässt er sich nach hinten sinken. Er schließt die Augen. Alles um ihn herum versinkt in einem bunten Wirbel. Nur der beißend-scharfe Geruch des Alkohols bleibt.
Elsa hat Glück. Die Sprechstundenhilfe, Elvira Felber, ist zu Hause und sitzt tatsächlich vorm Fernseher. Zwar ohne Katze und Schnittchen. Dafür mit einer Gurkenmaske im Gesicht und dicken, offenbar selbst gestrickten Socken an den Füßen. Vermutete Größe 42. Sie ist, nachdem sie Elsas unergründliches Auftauchen verdaut hat, äußerst gesprächig.
»Der Hubert Kratzer war wirklich unlängst in der Praxis.«
»Erinnern Sie sich noch an das Datum?«
»Leider nicht. Aber nachschauen könnte ich gleich morgen früh, Frau Wegener.«
»Zu welcher Tageszeit war er denn da? Vermutlich kurz vor Toresschluss?«, bohrt Elsa nach.
»Sind Sie Hellseherin? Genau so war’s. Er war mit der Helga bei uns. Die Frau Doktor kennt die Helga gut. Von früher, als sie noch regelmäßig beim Veterinär gearbeitet hat. Der konnte ja kaum ohne sie. Ich glaube sogar, der hat sie verehrt.«
»Und waren Sie drei, also Sie, die Frau Kratzer und der Herr Kratzer, die ganze Zeit über zusammen?«
»Ja, freilich. Die Frau Doktor ist noch ein bisschen bei uns gesessen, nachdem die Untersuchungen abgeschlossen waren. Nach kurzer Zeit ist sie dann aber abgerauscht. Sie hatte eine stürmische Verabredung.«
»Was für eine Verabredung?«, fragt Elsa verblüfft nach.
»Die Frau Doktor datet Männer. Da geht’s oft ziemlich wild zu. ›Stürmische See‹ oder ›stürmische Verabredung‹ sind unsere internen Codes. Ihre Dates, sagt die Frau Doktor, sind wie eine Reise auf hoher See, bei wildem Wellengang.«
»Ach so«, Elsa lächelt verständnisvoll.
»Also die Helga und ich, wir haben noch ein bisschen geplaudert. Auch über den Wellengang der Frau Doktor. Eh klar. Und dann wollte ich natürlich wissen, wie’s der Gerry geht.«
»Und der Herr Kratzer?«, drängt Elsa. »Frauengespräche der Art interessieren einen Mann doch nicht. Was hat er inzwischen gemacht?«
»Der war die ganze Zeit über dabei. Nur einmal ist er rausgegangen.«
»Für kleine Jungs, vermute ich mal?« Elsa versucht, Ruhe zu bewahren, weil sie sich innerlich diebisch darüber freut, dass sich alles so gut zusammenfügt. Genau so hat sie Hubs Kratzers Vorgehensweise erwartet.
»Richtig!« Elvira Felber schaut Elsa groß an. »Was denken Sie sich eigentlich die ganze Zeit über, Frau Wegener? Sie schauen drein wie ein digitales wandelndes Lexikon, das upgedatet wird.«
»Ich denke lediglich das Naheliegendste, Frau Felber.«
Elvira Felber seufzt, greift nach einer Schüssel und einem Handtuch, lässt die Gurkenscheiben in die Schüssel plumpsen und wischt mit dem Frotteetuch das Gesicht trocken. »Die Maske mache ich jede Woche. Ich bin Single. Da muss man besonders auf sich achten.«
»Bin ich auch!«, reiht Elsa sich plötzlich mühelos in die Reihe einsamer Frauen ein. »Aber erst seit Kurzem.«
»Und was macht Ihr Wellengang? Haben Sie sich schon daran gewöhnt, ab und zu vom Schicksal nass gespritzt zu werden?«, will die Felber wissen und kichert dabei.
»Ich sitze noch im Beiboot. An Bord des Kreuzfahrtschiffes. Da ist es gewöhnlich trocken.«
Die Felber lacht auf. »Herrje. Jetzt lassen Sie das Dingi doch mal ins Wasser. Sonst verpassen Sie noch alles. Ein bisschen Wassergespritze schadet doch nicht. Ist gut für den Teint.« Sie klopft sich mit den Fingern vorsichtig das Gesicht ab,
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