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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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Sicherheitsabstand überschreitet. Als Kind habe ich einmal versucht, einen Stein durch den Schild zu werfen, aber er ist davon abgeprallt wie von einer Gummiwand. Grelle Blitze sind über den Schild gezuckt, das Surren war ohrenbetäubend laut gewesen.
    Ich habe Angst um Neal. Wenn er die Barriere berührt, ist er tot, weil er einen elektrischen Schlag bekommt.
    »Neal!« Ich schreie so laut ich kann, bin mir aber nicht sicher, ob er mich hören kann. Er wird ertrinken, wenn er nicht umkehrt, denn seine Kräfte scheinen ihn zu verlassen.
    Irgendwann hört er auf zu schwimmen. Ich sehe seinen Kopf nur noch als Punkt auf der grauen Wasseroberfläche. Zuerst denke ich, er würde sich überhaupt nicht mehr bewegen. Minutenlang bleibt er auf der derselben Stelle. Dann sehe ich, wie er wütend auf die Wasseroberfläche schlägt, sodass es spritzt. Dann endlich bewegt er sich wieder auf mich zu. Mit zitternden Knien stehe ich noch lange am Ufer, bis Neal es endlich erreicht und ich ihm eine Hand reichen kann, um ihn herauszuziehen. Er bleibt erschöpft und wie tot neben mir liegen. Er sagt nichts, und ich schließe mich seinem Schweigen an. Alles, was ich hätte hervorbringen können, hätte es nur noch schlimmer gemacht. Ich lasse ihm die Zeit, die er benötigt, um sich auszuruhen, ehe wir langsam zurück nach Hause gehen. Neal zittert vor Kälte, obwohl es Sommer ist.

Kapitel vier
    Cade
    Ich werde mich nie an den Gestank von Bars gewöhnen. Vermutlich stört mich eher der Geruch ihrer Besucher als der der Lokalität an sich. Menschliche Ausdünstungen jedweder Art, vermischt mit gepanschtem Alkohol und billigen Zigaretten. Mir selbst haftet dieser Geruch an. Nicht meiner Haut, nein, aber meiner Kleidung. Ich hätte mich in all den Jahren längst daran gewöhnen müssen, aber Fehlanzeige.
    Der Hocker unter mir knarrt, einer der Beine ist kürzer als die anderen. Ich befürchte, er könnte mir bald unter dem Hintern zusammenbrechen. Die Einwohner dieser Stadt haben ihn aus Überresten alter Möbel gezimmert, die sie unter den Trümmern hervorgezogen haben. Immerhin haben sie sich überhaupt die Mühe gemacht, Sitzmöbel anzufertigen. Das sollte man ihnen hoch anrechnen. Die meisten Besucher hocken jedoch auf dem nackten Steinboden und lehnen sich an die kahlen grauen Wände, von denen der Putz bröckelt. Tische sucht man hier ebenfalls vergeblich. Sie nennen dieses Etablissement
The Cave
, und es macht seinem Namen alle Ehre. Eine Gruft hätte jedoch mehr Charme versprüht. Ich frage mich, wer den Schuppen so getauft hat, sollten die dummen Städter doch eigentlich nie eine Gruft von innen gesehen haben. Diejenigen vom Volk V23 verbrennen die Toten jenseits der Brücke. Nun, vielleicht trug der Laden schon zu Glanzzeiten der Stadt diesen Namen. Ich kann mir kaum vorstellen, wer unter normalen Umständen auf die Idee gekommen wäre, in diesem Kellerloch eine Bar zu eröffnen. Aus heutiger Sicht kann ich es fast verstehen. Das
Cave
ist ein illegaler Umschlagplatz für Tauschwaren aller Art, die zumeist von hinter der Barriere hereingeschmuggelt werden. Als Bar im eigentlichen Sinn versteht sich der Laden nicht, obwohl es manchmal selbstgebrannten Schnaps aus Mais oder Kartoffeln von jenseits der Brücke zu trinken gibt. Heute ist so ein Tag, aber ich habe kein Glas bestellt. Dazu sind mir meine Tauschwaren zu schade. Ich bin auf der Suche nach etwas anderem.
    Die Dame auf dem Hocker neben mir lehnt sich lasziv über den Tresen. Mein Blick streift sie nur flüchtig. Ich hege kein Interesse an niederen Menschen. Sie hat den Reißverschluss ihres gelben Einheitsanzuges für Frauen ungebührlich weit heruntergezogen, sodass ich den Ansatz ihrer Brüste sehen kann. Ihr Haar ist lang und braun. Wenn sie sich nach vorne lehnt, ergießt es sich über das fleckige morsche Holz des Tresens. Sie sieht mich schon die ganze Zeit über lüstern an. Wann merkt sie, dass sie mir auf die Nerven geht? Wären nicht so viele Leute hier, hätte ich ihr längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Eigentlich ist mir meine Munition zum Zwecke der Aggressionsbewältigung zu schade, aber heute hätte ich mir vorstellen können, eine Ausnahme zu machen. Stattdessen versuche ich, das Weibsbild einfach zu ignorieren. Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen. Wo ist dieser Idiot? Er sagte, er käme gegen 21 Uhr hierher. Ich möchte die beiden Batterien nicht umsonst mit mir herumgeschleppt haben, wenn ich dafür heute kein
Euphoria
bekomme. Nicht,

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