Glutroter Mond
sieht sich um. Ich lächle schief, denn das ist der Kerl, nach dem ich gesucht habe. Endlich. Ich rühre mich nicht, soll er mich doch selbst entdecken. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass sein Name Jeff ist, vermutlich jedoch nur ein Deckname. Ich habe in der Vergangenheit schon einmal Geschäfte mit ihm abgewickelt. Ein hässlicher Vogel, der in seinem blauen Einheitsanzug wirklich lächerlich aussieht. Er sitzt an ihm wie eine Wurstpelle.
Endlich bleibt sein Blick auf mir haften, seine dunklen Augen fixieren mich. Auch er lächelt kurz, ehe er sich einen Weg durch die Menge bahnt. Er schiebt sich zwischen mich und die Dame, die inzwischen ein neues Opfer gefunden hat. Der Typ, dem sie schöne Augen macht, scheint jedoch mehr Interesse an ihr zu hegen als ich, was sie offensichtlich dazu veranlasst hat, den Reißverschluss noch ein Stück tiefer zu ziehen.
»Cade?«, fragt mich der Drogendealer. Ich erspare mir ein Nicken. Wer sollte ich wohl sonst sein, so unauffällig ist meine Erscheinung nun auch wieder nicht. Für die Dauer eines Herzschlags frage ich mich, weshalb ich mir diese lästige Tauscherei überhaupt antue. Ich hätte den Kerl in einer stillen Ecke umlegen und seine Ware einfach an mich nehmen können. Aber meine Sippe besteht darauf, dass wir verdeckt und unauffällig agieren. Also tue ich ihnen den Gefallen.
»Hast du den Stoff?«
Ich ziehe die beiden Batterien, eine jede etwa so lang wie mein Finger, ein Stück weit aus der Tasche meines Ledermantels, bevor ich sie wieder darin verschwinden lasse. Ein widerlicher Geruch nach Staub und Schweiß weht mir entgegen, wenn Jeff sich bewegt. Ich lehne mich ein wenig zurück, wobei der Hocker unter mir bedenklich knarrt. Flüchtig irrt mein Blick zur Seite. Wir werden beobachtet. Nicht, dass ich befürchte, mich könnte jemand bei illegalen Geschäften erwischen, denn aus diesem Grund ist schließlich jeder hier, aber ich hasse es, wenn Menschen mich anglotzen. Ich wünsche mir, das
Cave
so schnell wie möglich zu verlassen.
Jeff grinst mich an und offenbart eine Zahnlücke. Ich verspüre den Wunsch, sie zu vergrößern. »Zehn Gramm. Wie gewünscht.«
Er öffnet den Reißverschluss seiner Brusttasche. Ich sehe mich meinem Ziel näher denn je. Er zieht eine kleine durchsichtige Plastiktüte hervor. Darin ist weißes Pulver. Ich habe keine Ahnung, woher er das
Euphoria
hat, und es ist mir auch egal. Der Stoff wird durch Destillation einer Pflanze gewonnen, deren Namen ich nicht kenne. Es ist ein kompliziertes Verfahren. Ich weiß sicher, dass die Pflanze nicht im Stadtgebiet wächst. Nichts wächst dort, außer die wenigen angepflanzten Eichen im Park. Es bringt mich zum Schmunzeln, dass ich den Stoff ausgerechnet hier eintauschen muss. Ich habe mit Jeff schon früher Geschäfte abgewickelt, er wurde mir von jemandem empfohlen, bei dem ich damals Kupferdrähte ertauscht habe.
Ich strecke gerade meine Hand aus, um den Plastikbeutel entgegenzunehmen, als das Weib neben uns sich wieder zu Wort meldet.
»Ist das etwa
Euphoria
?!« Ihre Stimme ist so laut, dass absolut jeder im Raum mitbekommen haben dürfte, was Jeff mir andrehen will. Sie beugt sich zu uns herüber. Reflexartig reiße ich meinen Arm zur Seite. Ich unterschätze manchmal, wie schnell und stark ich bin. Der Knöchel meines Handgelenks trifft die Frau an der Schläfe, sie taumelt zurück. Ich wollte sie zum Schweigen bringen, obwohl ich weiß, dass es dazu ohnehin längst zu spät ist. Mögen im
Cave
auch viele Dinge ihren Besitzer wechseln,
Euphoria
dürfte eine nicht allzu alltägliche Tauschware sein. Manche Einwohner sind süchtig danach, und sie würden über Leichen gehen, ein Gramm davon zu erhaschen.
Die Frau stürzt und stößt sich den Kopf am Tresen. Das Gesicht des Mannes, den sie zuvor bezirzt hat, verzerrt sich zu einer Grimasse des Zorns. Er holt aus und schlägt mit der Faust in Richtung meines Kopfes. »Du schlägst eine Frau?«, kreischt er beinahe hysterisch.
Er rechnet nicht damit, dass mein Reaktionsvermögen das seine um ein Vielfaches übersteigt. Mühelos ducke ich mich unter seinem Hieb hinweg. Ich springe vom Hocker und trete den Mann, den ich auf nicht älter als zwanzig Jahre schätze, gegen das Schienbein. Er heult auf wie ein Wolf und lässt sich zu Boden sinken, direkt neben seine sittenlose Freundin, die benommen auf dem Rücken liegt und die Augen verdreht. Inzwischen sind alle Gespräche im Raum verstummt. Ruhe herrscht jedoch allenfalls für die
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