Glutroter Mond
Stelle in ihrer Energiemauer noch nicht gefunden haben.
Als wir uns dem Ufer nähern und mir der unverkennbar modrige Geruch des Flusses in die Nase steigt, durchzuckt mich nun doch ein Anflug von Angst. Allmählich schwant mir, was Craig mit mir plant, und es gefällt mir ganz und gar nicht. Habe ich mich zuvor mehr oder weniger widerwillig abführen lassen, sträube ich mich nun mit aller Gewalt. Ich beiße dem Typen links von mir in die Hand. Dieser schreit auf und lässt mich kurz los, doch Kanes Griff ist nach wie vor fest. Während der Gebissene noch stöhnt und flucht, ist bereits Craig mit seiner Waffe an dessen Stelle gerückt. Der Lauf bohrt sich mir nun wieder unbequem in die Rippen. Ich trete um mich, aber ganz so behäbig wie ein Mensch bewegt sich auch ein V23er nicht. Ich lande keinen Treffer.
Bevor ich den Schmerz spüre, höre ich den Knall, der seinen Widerhall an den Wänden der halb verfallenen Wolkenkratzer findet. Dann knickt mein Bein unter mir weg. Meine Hose klebt feucht an meinem Schienbein, warmes Blut läuft mir in die Schuhe. Der Bastard hat mir ins Bein geschossen!
Die Wunde pocht heiß und beinahe unerträglich, aber ich tue ihnen nicht den Gefallen zu schreien. Schon merke ich, wie die Selbstheilungskräfte meines Körpers einsetzen und sich das Loch schließt. Ich hoffe, dass die Kugel auf der anderen Seite ausgetreten ist, andernfalls muss ich sie im Knochen behalten.
Craig tritt mir erneut in die Rippen. Die anderen beiden Männer packen mich unter den Achseln und schleifen mich hinter sich her, näher auf den Fluss zu. Mein Herz trommelt in einem wilden Rhythmus. Nicht der Fluss! Ich ertrage lieber noch weitere Schüsse in meine Beine.
»Werft ihn hinein!« Craigs Stimme klingt jetzt gar nicht mehr menschlich. Ich hätte nie geglaubt, dass ein ausgewachsener V23er nach seiner vollständigen Verwandlung überhaupt zu solchem Hass fähig sein könnte.
Sie zerren mich zu einer Lücke im Zaun, der die Straße vom Ufer trennt. An dieser Stelle ist die Teerschicht aufgeplatzt, ganze Bruchstücke der Straße sind in den Hudson River gerutscht. Mein Bein schmerzt noch immer, aber nicht mehr so sehr wie noch vor wenigen Minuten. Mein Körper ist trainiert und ich habe erst kürzlich Energie getankt. Ich spüre noch ein dumpfes Pochen beim Auftreten, jedoch nichts, das mich daran hindern könnte zu flüchten, sollte ich die Gelegenheit bekommen. Doch die bekomme ich nicht. Jetzt packen sie mich zu dritt, drei Männer gegen einen. Meine Sohlen schleifen über den Asphalt.
Craig greift um mein Genick und zwingt mich auf die Knie. Das Wasser ist jetzt ganz nahe, ich kann mein Spiegelbild sehen, wenn auch nur verzerrt, weil die Oberfläche vom Wind unruhig ist heute Abend.
Unvermittelt taucht Craig seine freie Hand in den Fluss und spritzt mir einige Tropfen ins Gesicht. Nicht viele, aber hinreichend, um mir zu demonstrieren, welche Qualen sie mir zufügen könnten, wenn sie es wollten. Das Wasser ätzt sich wie Säure in meine Gesichtshaut. Die V23er verstehen etwas von ihrem Fach, das muss ich ihnen lassen. Sie haben die unangenehmen Eigenschaften der Acrai, ihren Urvätern, geschickt aus sich herausgezüchtet. Sie sind nicht wasserscheu wie wir.
Ich beiße mir auf die Lippen. Ich werde nicht schreien.
»Wie bist du in die Stadt gelangt?«, schreit Craig mir ins Ohr, als sei ich taub. »Antworte!«
Erneut landet ein Schwall Wasser auf meinem Gesicht. Mir wird schwindlig, ich muss dagegen ankämpfen. Ich möchte nicht vor ihren Augen die Besinnung verlieren.
Ich schweige beharrlich. Ich werde ihnen nicht sagen, dass es einen Durchgang in der Nordröhre des Lincoln Tunnels gibt. Er ist nicht vollständig eingestürzt. Sollte ich ihnen das verraten, wäre der Zugang für meine Sippe für immer passé. Wir sind jedoch darauf angewiesen, und dabei geht es nicht bloß um den Erwerb von Luxusartikeln. Wir benötigen Menschen, um zu überleben.
»Ich werde die Antwort noch aus dir herausbekommen. Was wolltest du überhaupt auf unserem Terrain? Wildern, stimmt's? Wo haust deine Sippe?«
Alles Fragen, die ich ihm garantiert nicht beantworten werde, egal, wie sehr sie mich quälen. Mein Wille ist eisern, er kann nicht gebrochen werden. Ich fürchte den Tod nicht.
Als Craig merkt, dass ich wild entschlossen bin, mein Wissen für mich zu behalten, erhebt er sich. »Loraine, gib mir die Pistole.«
Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er sie an sie weitergegeben hatte. Ich wittere meine
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