Glutroter Mond
Craig. Der junge Mann weicht einen Zoll weit zurück, einen Moment lang lockert sich sein Griff ein wenig.
»Hilf Loraine dabei, ihm den Mantel auszuziehen.« Craig drückt mir die Pistole auf die Brust. »Wage es nicht, dich zu wehren oder einen Fluchtversuch zu starten. Du bist sofort tot.«
Ich spucke ihm ins Gesicht, aber Craig ist nicht Manns genug abzudrücken. Er stößt einen Wutschrei aus und wischt sich mit dem freien Handrücken über die Stirn.
»Ihr tötet mich doch ohnehin, weshalb nicht jetzt?« Es auszusprechen fällt mir erschreckend leicht. Wann bin ich bloß so ein kalter Hund geworden, dass mir nichts mehr an meiner sterblichen Hülle liegt?
»Was wir mit dir machen, geht dich einen feuchten Dreck an!« Er presst die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Allmählich dämmert mir, was mir bevorstehen könnte, sollten sie mich nicht töten. Und der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Ich hege keinerlei Interesse daran, als Versuchskaninchen für irre Genforscher zu fungieren.
Kane greift nach dem Kragen meines Mantels, sein Kollege auf meiner linken Seite zieht ihn mir über den Arm. Ich wehre mich nicht, als sie ihn mir vom Körper reißen und er zu Boden fällt. Loraine schnappt kaum hörbar nach Luft.
»Er hat das Mal, er ist ein Acrai«, sagt sie und spielt damit auf die hübschen schwarzen Linien an, die sich um meinen Unterarm schlingen. Genau genommen hätte ich auch einer von ihnen sein können, immerhin tragen auch V23er das Mal. Aber meine restliche Erscheinung dürfte diese Möglichkeit ausschließen.
»Habe ich doch gesagt.« Kane funkelt Craig böse an. Er ist tatsächlich noch sehr jung und voller Emotionen. Mich wundert, dass die V23er einen Frischling in die bewaffnete Einheit gesteckt haben, für gewöhnlich landen solche eher in der Nahrungsausgabe.
»Schafft ihn nach draußen«, sagt Craig und fuchtelt mit der Pistole vor meiner Nase herum. »Aber sorgt dafür, dass die Menschen ihn nicht sehen. Ich habe keine Lust auf dumme Fragen.«
»Die Menschen sind bereits abgeführt worden«, sagt Loraine.
»So? Und werden sie unter Arrest gestellt?«
»Einige. Wir haben nicht bei allen verbotene Gegenstände gefunden. Etwa die Hälfte haben wir nach Hause geschickt.«
Craig knurrt. Er macht auf mich den Eindruck, als bedauere er diesen Umstand, dabei sollte ein ausgewachsener V23er so etwas nicht empfinden. Scheinbar setzen sich ihre menschlichen Gene gegenüber den unseren dann und wann noch immer durch. Ich finde es abstoßend, dass Bruchstücke von Acrai-DNA in ihren Zellen herumgeistern. Eine Schande.
Die Polizisten zerren mich zur Treppe. Ich mache es ihnen absichtlich schwer. Nur langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Als wir durch die äußere Tür stoßen, ist die Sonne bereits untergegangen. Eine kühle Brise streicht durch meine Haare. Es riecht nach Staub und Unrat. Das Abwassersystem ist mit der alten Welt untergegangen, und die wenigen kläglichen Leitungen, die die V23er an ihrer Stelle verlegt haben, reichen kaum aus für alle sanitären Anlagen der Stadt. Viele Menschen halten sich nicht an die Vorschriften und verrichten ihr Geschäft dort, wo es ihnen gerade passt. Zum Glück ist die Stadt so groß, dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass sie je in Exkrementen untergehen wird. Nicht bei weniger als zehntausend Einwohnern.
Kaum im Freien, scheinen die Staatsmänner in ihre alte Form zurückzufinden. Craig versetzt mir einen schmerzhaften Tritt in den Bauch, der mich einige Sekunden lang Sterne vor den Augen sehen lässt. Dann prallt der Griff seiner Pistole gegen meine Schläfe, Kane und sein Kamerad greifen wieder fester um meine Oberarme. Loraine steht unbeteiligt daneben und verzieht keine Miene. Von den anderen Menschen ist nichts mehr zu sehen, und Jeff ist mit meinen Drogen entweder längst über alle Berge oder unter Arrest gestellt worden. Falls ich je lebend aus der Situation herauskommen sollte, werde ich den Tag in meinem Kalender streichen. Adé, 5. Juni 2183. Du warst ein echt mieser Tag.
»Zum Hudson River«, presst Craig hervor. Sofort setzen sich die anderen in Bewegung und bugsieren mich in eine der zahlreichen Querstraßen, die Manhattan in ost-westlicher Richtung durchziehen. Von hier aus ist es nicht weit bis zum Tunneleingang, der mich durch die Barriere hindurch in die Stadt gebracht hat, aber ich bezweifle, dass meine vier Begleiter mich nach Hause geleiten wollen. Ich hoffe inständig, dass sie die undichte
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