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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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dafür, dass er mich trotzdem nicht verachtet. Mit ihm kann ich darüber reden, er ist immer verständnisvoll.
    »Hör doch auf, danach zu schielen, was andere tun. Du hast dir immer schon zu viele Hoffnungen gemacht. Du hättest dich darauf vorbereiten müssen, dass es so kommen könnte.«
    Ich schluchze erneut, eine frische Träne tropft auf den Boden, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mit dem Weinen aufzuhören. »Ich habe mein Leben lang darauf hingearbeitet, Neal. Ich habe geglaubt, ich würde meine Eltern wiedersehen.«
    Er zieht mich näher zu sich heran, ich bette meinen Kopf an seiner Schulter, während wir nebeneinander hergehen. »Ich weiß, Holly. Aber du kannst es jetzt nicht mehr ändern. Du musst mit mir vorlieb nehmen.« Er streicht eine Träne mit seiner Fingerspitze von meiner Wange.
    »Weshalb verschanzen sich die Obersten überhaupt jenseits der Brücke?«, stoße ich trotzig hervor. »Sie reißen Familien auseinander.«
    Neal macht eine Pause und ich denke bereits, er würde nicht antworten. »Es ist nicht anders möglich, weil Menschen zu Neid und Hass neigen. Es gibt nur noch wenige Menschen auf der Welt. Sieh dir an, wie groß die Stadt ist und wie viele Häuser hier leer stehen. Die Obersten können sich nicht erlauben, ungeeignete Personen in ihre Zentrale zu lassen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab.«
    »
Ungeeignet.
« Ich betone das Wort bewusst abfällig. »Ich bin also ungeeignet, wie?«
    Neal ringt sich ein Lächeln ab. »Für mich bist du die Beste.«
    Jetzt komme ich nicht mehr umhin, sein Lächeln zu erwidern. Ich fühle mich schon ein wenig besser.
    Wir erreichen unser Wohnhaus als erste. Carl und Candice sind nicht so schnell gelaufen wie wir. Neal öffnet die Tür. Während ich die Treppe zum Gemeinschaftraum hinauf laufe, frage ich mich, ob man uns einen neuen Bewohner in die Kommune schicken wird, weil Suzies Zimmer jetzt leer steht. Vielleicht jemanden ohne Familienanschluss wie wir. Auf der obersten Stufe liegt etwas, das mich innehalten lässt. Ein Stück Papier, in der Mitte durchgerissen. Ich stutze und bücke mich danach.
    »Was ist das?« Neal schiebt sich an mir vorbei.
    »Keine Ahnung. Es sieht zerknickt aus. Es sind zwei Teile, vielleicht wollte es jemand in den Müll werfen und hat es auf der Treppe verloren.«
    »Es muss jemandem aus unserem Haus gehören. Leg es auf den Tisch im Gemeinschaftsraum.«
    Ich versuche, die beiden Fragmente am Riss in der Mitte wieder zusammenzusetzen. Meine Neugier ist einfach zu groß. »Wenn es für den Mülleimer bestimmt war, kann ich es lesen.«
    »Nein, kannst du nicht. Das gehört sich nicht!« Neal greift nach dem Papier, aber ich drehe mich schnell herum, so dass seine Hand ins Leere geht. Es ist mir egal, ob es sich gehört oder nicht. Ich möchte wissen, weshalb ein Stück Papier auf unserer Treppe lag.
    Flüchtig irrt mein Blick darüber. Es wurde maschinell ausgedruckt und ist nicht mit Hand geschrieben. Es muss also von den Obersten kommen, denn wir haben in der Stadt keine Maschinen, die solche Buchstaben erzeugen können.
    Ich höre, wie Neal genervt aufseufzt, aber ich ignoriere ihn. Bald werden Carl und Candice nach Hause kommen. Bis dahin möchte ich klären, woher das Blatt gekommen ist.
    Individuennummer 4-19 wurde für tauglich befunden, ihren Dienst für das System aufzunehmen. Am heutigen 6.Juni nach dem Frühmahl werden Sie in die Zentrale gebracht. Bitte denken Sie daran, ihre Identitätskarte mitzubringen. Nehmen Sie keine persönlichen Gegenstände mit.
    Mehr steht dort nicht, aber es verschlägt mir den Atem. Ich lasse das Papier fallen, es segelt die Treppe hinab ins untere Stockwerk. Ich habe plötzlich das Gefühl, mein Brustkorb sei zu klein zum Atmen. Ich schnappe nach Luft, aber ich fühle mich dennoch einer Ohnmacht nahe.
    »Was ist los? Du bist so blass. Ist alles in Ordnung?« Ich vernehme Neals Stimme wie aus weiter Ferne. Ich stürme den Flur entlang, reiße die Tür zu meinem Zimmer auf und suche wie besessen nach meiner Identitätskarte. 4-19, das bin
ich
, nicht Suzie. Sie ist an meiner Stelle in den Hubschrauber gestiegen.
Ich
sollte jetzt in der Zentrale sein und meinen neuen schwarzen Anzug anprobieren. ICH!
    Ich finde die Karte nicht. Als ich heute morgen ins Badehaus gegangen bin, hatte ich sie zu Hause gelassen. Ich habe geglaubt, unter meinem Kopfkissen sei sie sicher, aber dort ist sie nicht mehr. Hat Suzie meine Karte gestohlen? Glaubte sie tatsächlich, damit

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