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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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besonders gut leiden, aber ich möchte nicht, dass man ihr weh tut oder sie bestraft. Wenn ich nur irgendwie zu meinem Recht käme, könnte ich ihr die Lüge verzeihen.
    »Vielleicht behalten wir sie. Bei uns arbeiten nicht nur Menschen mit passendem genetischen Material. Auch andere werden gelegentlich rekrutiert.«
    Wovon spricht er? Ich sehe ihn ratlos an. Sicher meint er die Bluttests. »Wonach wird in unserem Blut gesucht?«
    »Das darf dich nicht interessieren.« Jetzt klingt seine Stimme wieder kalt und lässt die Freundlichkeit missen, die er mir noch zuvor entgegengebracht hat. Als er bemerkt, dass ich verschreckt einen Zoll zurückweiche, lächelt er jedoch wieder, aber es reicht nicht bis zu seinen Augen hinauf.
    »Wirst du mit mir kommen? Ich stelle es dir natürlich frei, bis zur nächsten offiziellen Zusammenkunft zu warten. Mein Name ist übrigens Cade.« Er streckt mir seine Hand entgegen. Zögerlich greife ich danach. Sie ist kühl, sein Händedruck aber fest. Cade? Weshalb nennt er mir seinen Vornamen? Ich bin es gewohnt, mit der Individuennummer angesprochen zu werden, zumindest von den Obersten. Ebenso stellen diese sich nie mit ihrem echten Namen vor.
    »Ich bin 4-19.« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Holly«, füge ich an, wobei ich rot anlaufe.
    In diesem Moment höre ich Schritte hinter mir. Ich drehe mich um und blicke in die blauen Augen von Neal, der außer Atem ist. Er stützt sich mit den Händen auf die Knie und ringt nach Luft. Eine verschwitzte Strähne klebt auf seiner Stirn.
    »Ich habe dich gesucht. Ich hatte Angst, du würdest gehen, ohne dich von mir zu verabschieden.«
    Ein Stich fährt mir in die Brust. Wäre ich tatsächlich gegangen, ohne Neal Lebwohl zu sagen? Mit einem Mal fühle ich mich schlecht, weil ich bislang noch gar nicht daran gedacht hatte.
    »Neal! Ich ... Ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, noch jemanden im Park zu treffen, der mich sofort mitnehmen würde«, entschuldige ich mich, obwohl es eine Lüge ist. »Dort war niemand mehr.«
    Ich sehe im Augenwinkel, wie Cade sich neben mir rührt. Er stellt sich aufrecht hin und lehnt jetzt nicht mehr gegen die Wand. Erst jetzt fällt mir auf, wie groß und breit er wirklich ist.
    Mein Blick irrt zwischen den beiden Männern hin und her.
    »Das ist Cade«, sage ich zu Neal. »Er ist einer der Obersten. Ich habe ihn zufällig hier getroffen.«
    »Aha.« Die Kälte in Neals Stimme lässt mich innerlich zusammenfahren. Wie kann er es wagen, sich einer Obrigkeit gegenüber so respektlos zu verhalten? Seine Augen verengen sich zu Schlitzen, er mustert Cade von oben bis unten.
    »Weshalb tragen Sie keinen Einheitsanzug?«
    Ich schäme mich für ihn. Ich habe mich zwar dasselbe gefragt, aber ich hätte mich nie getraut, die Frage offen zu stellen.
    Neal richtet sich auf und kommt einen Schritt auf uns zu. Er ist nur eine Handbreit kleiner als Cade.
    Cade antwortet nicht sofort. Er beäugt Neal seinerseits mit argwöhnischen Blicken. »Weil ich offiziell nicht im Dienst bin«, sagt er schließlich. Er versucht, es nüchtern klingen zu lassen, aber ich sehe Wut hinter seinen Augen aufflammen. Neal sollte nicht so respektlos sein. Ich habe oft davon gehört, dass die Staatsmänner nicht zimperlich mit jenen umgehen, die das System anzweifeln oder einen Obersten beleidigen.
    »Wie lautet Ihre Individuennummer?«, bohrt Neal jedoch weiter nach. Ich verspüre den Wunsch, seinen Mund zuzuhalten.
    Wieder bleibt Cade vorerst stumm. »Das geht dich nichts an«, presst er schließlich hervor. Ich wundere mich über sein Verhalten. Ich kenne die Obersten nur als absolut loyale Systemdiener, die keine Emotionen zeigen. Dieser Mann hier scheint aber anders zu sein, und das fasziniert mich. Dennoch muss er zu ihnen gehören. Er hat die seltsame schwarze Zeichnung am Arm. Kein Oberster würde einem Einwohner je Schaden zufügen, wenn nicht sein eigenes Leben in Gefahr ist. Oder wenn sich jemand kritisch gegenüber dem System äußert ... Man kann ihnen bedingungslos vertrauen. Weshalb führt Neal sich dann so seltsam auf?
    »Cade hat angeboten, mich in die Zentrale zu bringen«, sage ich, um die Stimmung wieder aufzulockern. Ich ringe mir ein Lächeln ab. Anscheinend habe ich jedoch genau das Falsche gesagt.
    »Du wärest also doch gegangen, ohne dich von mir zu verabschieden!«
    Ich fühle mich ertappt und weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Ich möchte nicht, dass Neal wütend auf mich ist. So sollten wir nicht

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