Glutroter Mond
ein Messer in den Leib getrieben. Ich möchte ihre Stimme nicht hören, sie soll still sein!
Ich gebe nur ein unartikuliertes Knurren von mir. Ich atme einmal tief ein, reiße mich zusammen uns sehe ihr in die Augen. Entgegen meiner Erwartungen weint sie nicht, auch sieht sie mich nicht flehend an. Eher fragend. Oder sogar empört? Ist das da eine Falte zwischen ihren Augenbrauen?
»Willst du mich töten?« Es auszusprechen muss ihr schwer fallen, sie presst die Worte förmlich heraus. Ihr Gesicht hat alle Farbe verloren, den Mund presst sie zu einem schmalen Strich zusammen. Ich bewundere ein weiteres Mal ihre Tapferkeit.
»Ja.« Ein Wort. Einfach und ehrlich.
Jetzt sehe ich doch so etwas wie Angst in ihren Augen aufblitzen. Sie reißt an der Türverriegelung herum, aber die Tür lässt sich nicht öffnen, wenn ich sie nicht freigebe. Wohin sollte sie auch flüchten? Ihr müsste klar sein, dass sie gegen mich keine Chance hat. Beinahe tut sie mir leid. Leid! Pah! Schon wieder so ein sentimentaler Mist.
»Weshalb lässt du mich nicht einfach gehen?« Ihr Tonfall hat eine seltsame Färbung, etwas zwischen verzweifelt und wütend.
»Weil du hier draußen ohnehin sterben würdest. Wir können dich nicht gebrauchen und durchfüttern.«
Das ist nicht ganz die Wahrheit. Die ehemals dicht besiedelte Ostküste ist zwar weitestgehend entvölkert, doch nicht menschenleer. Zumal ich das Risiko nicht eingehen kann, dass V23er sie auflesen und sie den Standort unseres Quartiers verrät.
Holly lässt vom Türgriff ab, presst sich jetzt stattdessen mit dem Rücken in den Sitz. »Ich gehe nicht ohne Neal. Ich möchte, dass Neal hier ist! Wenn er auch sterben muss, dann wenigstens nicht alleine.«
Im ersten Moment weiß ich nicht, was ich erwidern soll. Ist das eine Verzögerungstaktik? Oder meint sie das etwa ernst?
»Sei nicht albern! Du hast nicht das Recht, Forderungen zu stellen.«
»Wetten, dass doch?« Jetzt sprüht wahrhaftig Zorn aus ihren Augen. Oh, wie sie mich anfunkelt! Das habe ich bei Menschen noch nie erlebt. Die anderen hundert, die ich bislang getötet habe, haben im Angesicht des Todes immer bitterlich geweint und gewinselt, manche haben sich sogar eingenässt. Und dieses Mädel stellt tatsächlich noch Forderungen und ist dreist genug, mit mir verhandeln zu wollen!
Sie nestelt am Reißverschluss ihrer Hosentasche herum. Was hat sie vor? Wie ein Schwachsinniger starre ich auf ihre Finger, anstatt es einfach schnell und schmerzlos zu beenden und ihr den Hals umzudrehen.
Holly fördert etwas zutage, goldfarben, flach und quadratisch. Mein Herz macht einen Sprung. Die Platine aus der Maschine! Wochenlang habe ich daran herumgelötet. Unmöglich, sie zu ersetzen! Ohne die Maschine sind wir wieder darauf angewiesen, täglich auf die Jagd zu gehen. Undenkbar in diesen Zeiten!
Ich gebe mir Mühe, mein Entsetzen zu verbergen. Hoffentlich sind mir meine Gesichtszüge nicht entgleist. Holly nimmt die Platine zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände, als wollte sie sie zerbrechen.
»Ich mache ernst! Solltest du dich einen Millimeter bewegen - knack! So schnell kannst du mich nicht töten. Das Teil ist auf jeden Fall kaputt, das verspreche ich dir.«
Ich presse meine Zähne aufeinander, bis sie knirschen. Wie kommt Holly an die Platine? Wann hat sie sie entfernt? Dazu hätte sie die Maschine öffnen müssen. Oder hat Layton sie etwa ...?
»Was willst du von mir? Was versprichst du dir davon? Du stirbst, Mädchen! Also gib mir die Platine und mach es dir nicht unnötig schwer. Sonst mache ich es nicht schnell, sondern schön langsam. Ich fange mit dem Knochen deines kleinen Fingers an.« Angriff ist die beste Verteidigung, also gehe ich auf Konfrontationskurs. Ich lasse mich von ihr doch nicht vorführen!
Für die Dauer eines Herzschlags blitzt wieder Unsicherheit in ihren Augen auf, aber dann biegt sie die Platine durch, bis es bedenklich knirscht. »Ich will Neal! Jetzt!« Sie schreit mich förmlich an.
Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und schlage meine Stirn auf das Lenkrad. Herrgott, dieses Mädchen macht mich wahnsinnig! In meinem Schoß liegt kühl und schwer die Beretta. Ich bewege mich schneller als ein Mensch, ich könnte Holly vielleicht in den Kopf schießen, ehe es
knack
macht zwischen ihren Händen.
Ich seufze und hasse mich schon für meine Worte, ehe ich sie ausgesprochen habe. »Nimm die Platine herunter. Wir fahren zurück und holen deinen Freund.«
Was sich anhört, als sei
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