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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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tue einen Schritt in den Raum hinein und greife nach dem Kragen ihres Anzuges. Sind die Zellen aller Gefangenen so klein und leer? Mir ist es nie zuvor aufgefallen und ich wundere mich darüber, weshalb es gerade jetzt einen leichten Hauch von Mitleid in mir erzeugt. Mitleid! Was kümmert es mich, wie es den Menschen geht? Mitleid ist nur ein Wort, kein Gefühl.
    Ich zerre Holly ungeduldig zurück auf den Flur und mache mich mit ihr unverzüglich zurück auf den Weg zum Ausgang. Layton hat recht. Ich muss sie entsorgen. Ich werde vermutlich ohnehin nie herausfinden, weshalb die Maschine bei ihr versagt hat.
    »Wohin gehen wir denn jetzt schon weder?«
    Bewundernswert, wie sehr sie sich im Griff hat. Sie versucht, selbstsicher zu klingen, aber ich rieche ihre Unsicherheit. Sie zittert. Tapferes dummes Mädchen.
    Ich gebe ihr einen unsanften Schubs, der sie ins Straucheln bringt. Ich kann meine Kraft nur schlecht dosieren, erst recht nicht, wenn ich aufgewühlt bin. Ich antworte ihr nicht, und Holly fragt auch nicht mehr nach. Sie sieht mich mit einem undeutbaren Blick von der Seite an, irgendetwas zwischen Faszination und Angst. Verdammt, sie soll woanders hinsehen!
    Die Haupttür nach draußen schwingt auf. Ich taste in meiner Hosentasche nach dem Autoschlüssel, schließe den Wagen auf und schiebe Holly auf den Beifahrersitz. Sie wehrt sich nicht. Ich höre ihr Herz laut klopfen. Denkt sie, ich würde sie nach Hause zurückbringen? Vielleicht ist sie naiv genug, das zu glauben.
    Ich betätige die Türverriegelung und lasse den Motor an. Dann greife ich an Holly vorbei zum Handschuhfach und nehme meine Beretta heraus. Sicher ist sicher. Nicht, dass sie noch auf die Idee kommt, das Ding gegen mich zu ziehen.
    Wir tauchen aus der Garage ins helle Tageslicht ein. Ich reiße das Lenkrad unnötig kräftig herum, sodass es Holly gegen die Scheibe wirft. Sie schnappt geräuschvoll nach Luft, ich schmunzle. Mir macht es Spaß, sie zu ärgern, ich weiß auch nicht, weshalb. Schade, dass das bald vorbei sein wird. Ich biege auf die asphaltierte Straße ein. Die Reifen wirbeln Staub auf, der auch aus der Distanz von einigen hundert Yards noch zu sehen sein sollte. Ich hoffe, dass keine Patrouillen der V23er in der Nähe sind. Für gewöhnlich vermeide ich es, allzu oft mit dem Auto wegzufahren. Heute wäre es definitiv vermeidbar gewesen. Ich hätte Holly auch an Ort und Stelle töten können. Trotzdem sitzen wir jetzt im SUV und entfernen uns vom Quartier. Ich möchte ihre Leiche nicht auf den Haufen zu den anderen hinter der Höhle werfen müssen. Aus irgendeinem Grund erscheint es mir unpassend. Ich möchte, dass sie ein Einzelgrab erhält, weit weg vom Irrsinn des Quartiers. Mich macht es rasend, sie neben mir atmen zu hören, den Duft ihrer Haut einzuatmen. Wie ich mich selbst dafür hasse, mich von einem Mädchen so aus dem Konzept bringen zu lassen! Hätte sie nicht sein können wie alle anderen? Hätte die Maschine sie nicht aussaugen und zu einer leeren Hülle ohne Gefühle werden lassen können? Und weshalb verhalte ich mich seit einigen Tagen so eigenartig? Verdammt, solche Regungen kenne ich nicht!
    Ich fahre nicht weit, ehe ich die befestigte Straße wieder verlasse und nach rechts auf eine Einfahrt einbiege. Vor uns liegen die Trümmer einer alten Tankstelle, die schon seit über hundert Jahren nicht mehr in Betrieb ist. Dahinter befindet sich eine Ansammlung verkrüppelter Roteichen, die allerdings nur spärlich belaubt sind. Der Ort erscheint mir angemessen für eine Hinrichtung.
    Ich halte an und mache den Motor aus. Ich erwische mich dabei, dass ich mir viel Zeit lasse. Viel zu viel. Möchte ich den Moment etwa nur hinauszögern? Ist das der Grund, weshalb ich überhaupt mit ihr hierhergekommen bin, anstatt sie einfach vor dem Quartier zu erschießen? Ein widerlicher Gedanke. Weichherzigkeit gibt es im Leben eines Acrai nicht, diese Eigenschaft ist uns unbekannt.
    Ich vermeide, Holly in die Augen zu sehen. Ich höre sie zitternd atmen, das reicht. Ich starre auf die Beretta in meinem Schoß. Soll ich sie erschießen oder sie mit bloßen Händen töten? Die Pistole im abgeschlossenen Innenraum eines Fahrzeugs zu verwenden erscheint mit lächerlich. Wer bin ich denn, dass ich es nicht einmal fertig bringe, ihr das Genick zu brechen? Zumal ich die Sauerei von den Autositzen entfernen müsste, sollte ich mich für die Beretta entscheiden.
    »Was ist?«, fragt Holly. Ihre Worte fühlen sich an, als hätte sie mir

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