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Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
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zögere. Soll ich wieder weglaufen? Nein, ich habe keine Kraft. Außerdem möchte ich nicht erneut geschlagen werden, wenn ich nicht gehorche. Also gehe ich widerwillig hinter Cade her zurück in den Bau unterhalb der Erdoberfläche.

Kapitel zehn
    Cade
     

    Das Mädchen verwirrt mich. Durch und durch. Vom ersten Augenblick an, als ich sie schniefend und verzweifelt in den Straßen von Manhattan gesehen habe, hätte mir klar sein müssen, dass sie anders ist. Ich habe die Einwohner der Stadt, jenes riesigen Forschungslabors der V23er, immer für kalt, dumm und naiv gehalten. Nun, dumm und naiv ist die Kleine zwar, aber nicht kalt. Geschrien und getobt haben die Menschen zwar immer, wenn wir sie an den Apparat angeschlossen haben, aber bereits nach der ersten Sitzung war das glücklicherweise passé. Die Maschine funktioniert tadellos, sie bedient sich am Emotionsspektrum der Spender, um meine Rasse am Leben zu erhalten. Hat meine Erfindung versagt? Das wäre katastrophal. Die direkte Energieübertragung durch Hautkontakt tötet einen Menschen sofort, wohingegen die Maschine mehrfach an ein und denselben Spender angeschlossen werden kann. Eine absolute Innovation, die uns die lästige Leichenentsorgung erspart. Wir haben bereits tonnenweise Knochen hinter dem Quartier vergraben. Menschen vermehren sich gar nicht schnell genug, um uns am Leben zu erhalten. Ohne die Maschine wäre mein Volk früher oder später dem Tod geweiht.
    Ich presse meine Handfläche gegen den Scanner an der Außentür. Mit dem gewohnten Zischen schwingt sie auf. Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen, dass Holly noch hinter mir ist. Ich kann sie riechen. Die meisten Menschen stinken, aber Holly riecht einfach nur nach Leben. So verlockend, dass ich mich beherrschen muss, sie nicht auszusaugen und nichts als ihre leblose Hülle zurückzulassen. Vielleicht sollte ich das tun. Dann wäre ich sie los und das Thema wäre vom Tisch. Wenn ich Glück habe, hat sich Layton wieder beruhigt und spricht mich nicht noch einmal auf das Versagen der Maschine an. Morgen werden wir den jungen Mann anschließen. Wie hieß er noch gleich? Neal.
    Ich betrete den Flur zum Quartier, das Mädel geht hinter mir. Als sich die Tür hinter uns wieder schließt, stößt Holly ein leises Seufzen aus. Weshalb bringe ich sie nicht einfach um? Es wäre das Beste. Aber irgendetwas lässt mich zögern. Es muss einen Grund geben, weshalb die Maschine bei ihr versagt hat. An der Technik lag es jedenfalls nicht. Verdammt, weshalb bin ich bloß so neugierig, was das Thema anbelangt? Wissensdurst ist eine unbequeme Eigenschaft.
    Als ich vor der Zellentür stehe, um mir Holly aus den Augen - und hoffentlich aus dem Sinn - zu schaffen, drehe ich mich noch einmal zu ihr um. Der kurze Stich, der mir dabei in die Brust fährt, schockiert mich. Ihre grünen Augen sehen mich Hilfe suchend an, so verzweifelt und verletzlich, dass mir für einen Herzschlag lang der Atem stockt. Der gelbe Anzug, den die V23er ihr zugewiesen haben, ist staubig und verschmutzt, am Kragen befinden sich zahlreiche getrocknete Blutflecke. Ihre dunkelbraunen Locken sind zersaust, quer durch ihr blasses Gesicht zieht sich ein Streifen Schmutz. Mich sollte das nicht kümmern. Ich habe schon oft getötet, jedes Mal ohne Bedauern. Weshalb lässt mich dann ein mitleiderregender Blick so zusammenfahren?
    Ich schnaube, wende mich ab und öffne wortlos die Tür.
    Das Mädchen scheint nicht ganz so dumm zu sein wie gedacht, denn sie tritt ohne Aufforderung zurück in ihre Zelle. Sie weiß genau, dass sie ohnehin nichts bewirken kann, wenn sie sich wehrt.
    Ich schließe die Tür wieder, sorgsam darauf bedacht, keinen weiteren Blick in ihre Augen zu riskieren. Als ich mich umdrehe, sehe ich hingegen in ein anderes Augenpaar - das von Layton. Er hat sich lautlos angeschlichen. Es ärgert mich, dass ich ihn nicht habe kommen hören. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist heute miserabel und ich hoffe sehr, dass es nicht an dem Mädchen liegt.
    Layton ist zwei Zoll kleiner als ich. Ich weiß, dass es ihn ärgert, mir von unten ins Gesicht sehen zu müssen, weshalb er immer eine Mindestdistanz von einer Armlänge zwischen uns wahrt.
    »Hast du sie etwa wieder mitgebracht?« Die Missbilligung in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
    »Ich habe sie sich waschen lassen. Und ja, danach habe ich sie wieder mitgebracht. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich es morgen noch einmal mit ihr probieren möchte.« Ich verschweige ihm, dass

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