Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glutroter Mond

Glutroter Mond

Titel: Glutroter Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Narcia Kensing
Vom Netzwerk:
wirklich wissen?
    Er sieht mich wieder an, in seinen Augen ein Ausdruck, den ich von ihm nicht kenne. Schmerzvoll, verzweifelt. »
Das
wüsste ich auch gerne. Von der ersten Sekunde an, als ich dich in Manhattan gesehen habe, hätte mir klar sein müssen, dass du anders bist. Du machst etwas mit mir, das ich mir nicht erklären kann. Ich habe nie Mitleid empfunden. Nie. Heute habe ich Wasser für dich aus einem Brunnen geschöpft! Pah! Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Auch vorher hast du mich schon verwirrt, aber seit du mir gestern von deinen Emotionen gespendet hast, ist es völlig aus mit mir! Ich erkenne mich nicht mehr wieder. Ich bin so sauer auf dich, dass ich dir gerne den Hals umdrehen würde, aber ich schaffe das nicht mehr. Ich bin ein nichtsnutziges Weichei. Mit jeder Sekunde, die ich dich kenne, ist es schlimmer geworden. Wie soll ich je in mein altes Leben zurückkehren?«
    Ich schlucke den letzten Rest der Karotte hinunter und werfe die grünen Blätter in den Rinnstein. »Mir war nie bewusst, dass ich anders bin. Du kannst es mir nicht vorwerfen. Was ist so schlimm daran, Mitleid oder andere Gefühle zu empfinden?«
    »Ich kenne Gefühle. Oh ja. Hass. Wut. Neid. Aber das, was du in mir auslöst, macht mich wahnsinnig. Was auch immer ich gestern aus dir herausgesogen habe, war Gift. Es zerfrisst mich von innen.«
    Eine Weile lang schweigen wir, weil ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll. Als die Stille beginnt, unangenehm zu werden, beschließe ich, das Thema zu wechseln. Vielleicht sollte ich seine neue Gesprächigkeit ausnutzen.
    »Was hat es mit den Obersten auf sich? Was sind Acrai? Und von welchem Krieg sprichst du? Ich möchte es gerne verstehen.«
    Cade seufzt und lässt sich Zeit mit einer Antwort. Er lehnt seinen Kopf wieder nach hinten gegen den Radkasten. Mir fällt auf, dass er nicht mehr so blass ist wie zuvor und wesentlich gesünder wirkt.
    »Ihr glaubt, die Obersten seien Menschen, die eure Stadt regieren, weil es Regeln geben muss, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten. Das erzählen sie euch. Weißt du, was wirklich los ist? Manhattan ist ein Forschungslabor für genetische Versuche. Sie haben eine Barriere um die Stadt errichtet, ein Kraftfeld nehme ich an. Ihr werdet dort gehalten wie man früher Laborratten gehalten hat. Ich kann dir sogar ganz genau sagen, weshalb die Welt tot und verwüstet ist. Willst du die Geschichte wirklich hören? Ist etwas länger. Aber wir haben ohnehin nichts Besseres zu tun. Vor Einbruch der Nacht gehe ich nirgendwo mehr hin. Wir werden bis morgen früh hier bleiben.«
    Ich nicke, einmal und gewichtig. »Erzähle es mir.«
    Cade knurrt und senkt den Blick. »Vor längerer Zeit, ich nehme an, vor fast zweihundert Jahren, hat mein Volk damit begonnen, sich in die Natur einzumischen, weil wir an menschlicher DNA herumgespielt haben. Das ist die Erbinformation, ich weiß nicht, ob du damit etwas anfangen kannst?«
    »Ja.« Ich habe zwar keine genaue Vorstellung davon, nehme aber an, dass es etwas mit dem Blut eines Menschen zu tun hat. Keine Ahnung. Ich möchte mir nicht die Blöße geben zuzugeben, dass ich so wenig weiß.
    »Die Acrai haben seit Anbeginn der Zeit neben den Menschen auf der Erde existiert. Wir haben nur leider ein paar ganz schrecklich negative Eigenschaften.« Cade hält mir seinen linken Unterarm unter die Nase. »Das Mal hast du auch bei den Obersten schon gesehen. Bis heute ist es ihnen nicht gelungen, das aus uns herauszuzüchten. Jedenfalls breitet es sich aus, von dem Tag an, an dem wir geboren oder durch Acraiblut zu einem von uns gemacht werden. Es ist wie eine Uhr. Wenn es ungefähr auf Brusthöhe angelangt ist, sterben wir. Einfach so. Meist passiert das um das dreißigste Lebensjahr herum. Bei dem einen früher, bei dem anderen etwas später. Aber es passiert auf jedem Fall. Du wirst keinen V23er sehen, der alt ist.« Cade lässt seinen Blick in eine unbestimmte Ferne schweifen und beißt sich auf die Unterlippe.
    »Du hast gerade gesagt, du wärest schon sehr alt und hättest viel von der Welt gesehen. Ich schätze dich auf nicht älter als Anfang zwanzig. Wie kann das sein?«
    Cades Gesicht nimmt für die Dauer eines Lidschlags einen erschrockenen Ausdruck an, als hätte ich ihn bei einer Lüge erwischt. »Ich bin innerhalb kurzer Zeit eben viel herumgekommen.«
    Ich glaube ihm nicht, bohre aber nicht weiter nach. Irgendetwas verheimlicht er mir.
    Cade räuspert sich und fährt mit seinem Bericht

Weitere Kostenlose Bücher