Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
wenn du bei der Arbeit aufgehalten wirst. Dann hole ich die Karten ab und begleite Willow zum Konzert«, hörte sie ihre Mutter sagen. Aber Richard kam nicht nach Hause und rief auch nicht zurück. Irgendwann verwandelte sich die Aufregung in niederschmetternde Enttäuschung.
    Es wurde acht, halb neun, dann neun Uhr, und Willow legte den Kopf auf Bethanys Schoß und weinte. Richard kam nicht zum ersten Mal zu spät nach Hause. Schon zuvor hatte er sich nicht an Verabredungen und Versprechen gehalten. Aber nun traf es zum ersten Mal Willow. Normalerweise war es Bethany, die angezogen und geschminkt herumsaß und wartete, irgendwann den Babysitter heimschickte und auf dem Sofa einschlief. Sie machten sich keine Sorgen um ihn, daran konnte Willow sich erinnern. Sie glaubten nicht, dass ihm etwas Schreckliches zugestoßen war.
    In ihrem Zimmer bemerkte Willow, dass ihre Freundinnen ihr einen Haufen SMS geschickt hatten . WIE IST ES?? OMG , ICH BIN JA SO NEIDISCH!!! SCHICK MAL EIN FOTO VON DEINEM OUTFIT!! Am liebsten hätte sie irgendwen angerufen und sich ausgeheult. Alle hätten sie verstanden, keine ihrer Freundinnen lebte mit Mutter und Vater zusammen. Sie alle kannten den Schmerz und die Enttäuschung, die Scheidung, den hässlichen Sorgerechtsstreit und das Leben in einer Patchworkfamilie. Willow rief niemanden an. Ein Teil von ihr konnte den Gedanken nicht ertragen, dermaßen das Gesicht zu verlieren. Sie war die mit der perfekten Familie – der berühmten Mutter und dem Vater, der als Schönheitschirurg ein Vermögen verdiente. Sie schickte eine Sammel- SMS : ES IST GENIAL !!! SCHADE, DASS IHR NICHT HIER SEIN KÖNNT !! FOTOS MORGEN !!
    Als sie die SMS abschickte, tauchte ihre Mom in der Tür auf.
    »Willow, es tut mir ja so leid!«
    »Du kannst nichts dafür, Mom.«
    Aber sie konnte ihrer Mutter vom Gesicht ablesen, dass sie die Schuld auf sich nahm. So wie immer. Und irgendwie ging es Willow damit noch schlechter. Sie konnte sich an jedes Detail dieses Abends erinnern, und am besten erinnerte sie sich an die sie quälende Trauer, als sie später im Bett lag.
    Gegen Mitternacht hörte sie ihren Vater nach Hause kommen.
    »Verdammt, Beth, ich habe es vergessen. Ich wurde im OP aufgehalten.«
    »Unsinn, Richard. Hattest du überhaupt Tickets gekauft?«
    Um das anschwellende Geschrei nicht mit anhören zu müssen, vergrub Willow den Kopf unter dem Kissen. Endlich wurde es still. Als sie kurz vorm Eindösen war, hörte sie die Wohnungstür knallen, und das Schluchzen ihrer Mutter.
    Am nächsten Tag erzählte Willow allen Freundinnen von dem Konzert, wobei sie Details aus Blogs und Online-Videos mit einbaute. Nein, ihr Dad habe keine Backstage-Pässe organisieren können. Aber als er zur Toilette gegangen sei, habe sie einen echt süßen Jungen kennengelernt. Sie habe ihm ihre Mailadresse gegeben, denn ihre Handynummer habe sie ihm nicht verraten wollen. Er heiße Rainer und habe ihr geglaubt, als sie sich für sechzehn ausgab. Sie erzählte ihren Freundinnen, wie ihr Dad sie nach dem Konzert auf einen Burger und einen Milchshake eingeladen habe und sie erst nach Mitternacht nach Hause gekommen seien. Es sei der coolste Abend aller Zeiten gewesen.
    Und nichts davon war gelogen. Sie hätte tatsächlich dort sein sollen, und sie konnte sich alles genau vorstellen, die Musik, die Aufregung. Sie war tatsächlich dort gewesen. Ihre Lüge war die Wahrheit, wie sie eigentlich hätte sein sollen. Und niemand hegte den Hauch eines Zweifels. Warum auch?
    Danach war Willow aus irgendeinem Grund nicht mehr ganz so traurig, so als hätte sie sich zurückgeholt, was ihr zustand. Die Wahrheit war so banal. Als sie an jenem Tag log, spürte sie eine ganz neue Art von Macht. Über nichts in ihrem Leben hatte sie die Kontrolle, nicht über ihren Vater, der immer öfter immer länger wegblieb, nicht über die langsam zerbrechende Ehe ihrer Eltern. Aber was sie darüber erzählte, hatte sie unter Kontrolle.
    Sie verspürte keinerlei Gewissensbisse, weder angesichts der neidischen Gesichter ihrer Freundinnen, noch weil sie immer neue Lügen erfinden musste, um die Täuschung aufrechtzuerhalten. Was war mit dem erfundenen Jungen, den sie beim angeblichen Konzertbesuch kennengelernt hatte? Am nächsten Tag fragten alle nach ihm. Ob er ihr geschrieben habe? Natürlich hatte er.
    Sie wusste nicht, hatte nicht ahnen können, dass die erste, kleine Lüge wachsen und wachsen würde. Sie machte sich keine Vorstellung von den

Weitere Kostenlose Bücher