Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
paar Wochen habe ich mich sogar getraut, ihn auf Cammy aufpassen zu lassen, meinen Ältesten, wenn ich zum Einkaufen musste. Coles Mutter ist eine wandelnde Katastrophe, aber sie kann nicht alles falsch gemacht haben, denn der Junge ist ein wahres Goldstück.«
»Das ist toll«, sagte Jones, »es hätte wirklich schlimmer kommen können.«
Er wusste immer noch nicht, was die Frau eigentlich von ihm wollte. Aber in seinen vielen Jahren als Polizist und Ehemann hatte er gelernt, dass Frauen am liebsten auf Umwegen auf den Punkt kamen. Wenn man klug war, hielt man den Mund.
»Als der Sommer vorbei war, sollte Cole nach New Jersey zurück. Seine Mutter wollte ihn am fünfzehnten August abholen. Der Tag kam und ging, aber sie tauchte nicht hier auf. Ihr Telefonanschluss funktionierte nicht mehr. Die Mailbox ihres Handys war voll. Am darauffolgenden Wochenende fuhren Kevin und Cole zu ihr und mussten feststellen, dass die Wohnung zwangsgeräumt worden war. Alle Sachen waren weg. Außerdem war Robin, so heißt die Ex meines Mannes, seit Wochen nicht zur Arbeit erschienen.«
»Wann hat Cole zum letzten Mal mit seiner Mutter gesprochen?«
»Er sagt, sie habe ihn ein paar Tage bevor sie ihn abholen wollte auf dem Handy angerufen, und alles sei in bester Ordnung gewesen.«
»Sie haben ihm geglaubt?«
Sie zuckte die Achseln.
»Ich habe keinen Grund, ihm nicht zu glauben.«
»Tja, was dann? Drogen?«
»Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Kevin hat seinen Sohn leider nur wenig gesehen. Es war traurig, aber seine Ex wollte keinen Kontakt.«
»Warum nicht?«, fragte Jones.
Ihr Blick schoss hin und her.
»Keine Ahnung.«
Aber Jones konnte sehen, dass sie sehr wohl eine Ahnung hatte. Sie kannte den Grund.
Sie starrte wieder zur Decke hoch, bevor sie sagte: »Kevin hat erzählt, es habe in ihrem Leben in den letzten Jahren wechselnde Männergeschichten gegeben. Und ihr letzter Freund habe Cole nicht im Haus haben wollen. Deswegen sei Cole zu uns gekommen. Kevin meint, sie wäre mit irgendjemandem durchgebrannt.«
»Wie kann er das so genau wissen, wenn er kaum Kontakt zu ihr hatte?«
»Keine Ahnung«, sagte Paula und zuckte kopfschüttelnd die Achseln.
»Was hat Cole dazu gesagt?«
»Ich habe ihn gefragt, als Kevin bei der Arbeit war. Er hat gesagt, seine Mutter sei hin und wieder mit einem Mann ausgegangen, aber da sei nichts Ernstes gelaufen. Falls es einen Mann gab, der Cole nicht im Haus haben wollte, hat Cole ihn nie kennengelernt. Bei Kevin hat es so geklungen, als habe Robin sich ihm heimlich anvertraut. Irgendwie seltsam.« Sie atmete geräuschvoll aus und nestelte an ihrem Ehering herum.
Keine Familienfotos. Das war es. Keine Fotos an den Wänden, auf dem Kaminsims, in den Regalen. Nur das übliche, gestellte Hochzeitsfoto und ein paar Passfotos von den Kindern. Keine Urlaubsbilder. Und nirgendwo ein Körnchen Staub, keine einzige Fluse auf dem Teppich. Und das in einem Haushalt mit drei Kindern? Jones und Maggie hatten nur ein Kind, aber ihr Wohnzimmer erinnerte an einen Altar für Ricky. Als er klein war, glich das Haus einem Schlachtfeld – es war nicht unbedingt verdreckt, aber immer unordentlich. Überall standen und lagen Sportgeräte, Spielzeug, Kostüme, Zelte, Dreiräder herum, alles eben, was zu einer Kindheit gehört.
»Mrs. Carr«, sagte Jones, »was kann ich für Sie tun?«
»Ich dachte, vielleicht können Sie uns helfen, Coles Mutter zu finden?«
Er schüttelte den Kopf und wollte gerade sagen, dass er derlei Aufträge nicht annehme, aber Paula missverstand die Geste und dachte, er würde ihr Anliegen missbilligen. Sie riss die Hände in die Höhe.
»Es ist ja nicht so, dass ich ihn loswerden will. Das dürfen Sie nicht denken. Er ist nur so traurig. So traurig! Letzte Woche war sein Geburtstag, er hat nicht einmal eine Karte von ihr bekommen.« Diesmal versuchte sie gar nicht erst, die Tränen zurückzuhalten. Sie zog ein Taschentuch heraus und tupfte sich Augen und Nase ab.
»Mrs. Carr«, sagte Jones, »höchstwahrscheinlich meldet sie sich freiwillig bei Ihnen, vermutlich noch vor Thanksgiving.«
Sie schaute auf die Tischplatte, dann wieder Jones an.
»Es ist nur so … er ist wirklich ein guter Junge. Sie hat ihn zu einem wunderbaren Menschen erzogen. Sie hat ihn ganz offensichtlich geliebt. Ich habe sie nie kennengelernt. Kevin wollte das nicht. Ich weiß nicht, ob sie wirklich eine Frau ist, die ihren Sohn wegen irgendeines Typen abschiebt. Vielleicht hat sie wirklich ein
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